Aktuelle Meldungen und Veranstaltungen

Meldung vom 02. Oktober 2023

Die Ausstellung „Der große Schwof“ im Stadtmuseum Jena

Ausstellungsrezension zu „Der große Schwof“ im Stadtmuseum Jena „Der Große Schwof. Feste feiern im Osten“ heißt die Fotoausstellung, die seit dem 1. Juli in der Jenaer Kunstsammlung im Stadtmuseum zu sehen ist. „Schwofen war der Begriff für Tanzen gehen, Rumhängen, miteinander sein, Singen, Essen, Saufen, Sex haben. Also alles das, was meistens am Wochenende stattfand: der große Schwof", erzählt Fotografin und Kuratorin der Ausstellung, Petra Göllnitz, im Interview mit dem MDR. Gezeigt werden Fotografien von 31 professionellen Fotografinnen und Fotografen aus der DDR, die auf sehr unterschiedliche Weise die damalige Festkulturen einzufangen versuchten. Auf über 300 gezeigten Fotografien wird ein
buntes und diverses Bild des Feierns im SED-Staat präsentiert. Zu sehen gibt es großformatige Prints von Feiern und feiernden Menschen zu den unterschiedlichsten Anlässen. Das fotografisch abgebildete Themenspektrum reicht von Punk-Partys über Faschingsfeiern, Hochzeiten, Dorffeste bis hin zu offiziellen staatlichen Feiern wie dem Turn- und Sportfest in Leipzig 1987 oder dem DDR-Nationalfeiertag am 7. Oktober in einem Seniorenheim. Insbesondere den Fotografien von privaten Feierlichkeiten wird dabei viel Platz eingeräumt.
Die Fotografinnen und Fotografen werfen so einen facettenreichen Blick auf die Gesellschaft und das Feiern vor 1990. Dies führt dazu, dass die Ausstellung nicht nur eine einzige Erzählung über die DDR ermöglicht, sondern eine breite, vielschichtige Geschichte des Alltags vermittelt. Dreh- und Angelpunkt ist das titelgebende „das Schwofen“ – ein im Osten gebräuchlicher Ausdruck für das ausgelassene Tanzen.
Der Leipziger Fotograf Ludwig Rauch veranschaulicht durch seine Bilder, wie die Fasson des Sozialismus im diffusen Licht verqualmter nächtlicher Tanzlokale zu verschwimmen beginnt. Die Erzählung von den Freiräumen in der sozialistischen Diktatur zieht sich in gewisser Weise durch die gesamte Ausstellung. Doch sind diese nicht ausschließlich fernab der offiziellen Feste zu finden, wie Harald Hirsch mit seinen Bildern zu zeigen vermag oder auch Jens Rotsch mit seinen Aufnahmen des Leipziger Turn- und Sportfests. Bedrückend leicht kommen die Bilder von Barbara Metselaar Berthold daher. Die von ihr abgelichteten Szenen einer Abschiedsfeier in Ost-Berlin lassen nicht erahnen, dass sich die gezeigten Personen wenig später voneinander verabschiedeten werden, in der Erwartung, nie wieder gemeinsam im selben Land leben zu können, weil ihre Ausreise aus der DDR genehmigt wurde. Harald Hauswalds Kneipenszenen gelingt es durch die sich bewegenden Körper, die unkontrollierte Dynamik des Alkoholrauschs und des wilden Feierns sichtbar zu machen. In einem kleinen Vorführraum werden zudem kurze Interviewsequenzen mit den Künstler:innen abgespielt, in denen diese zu ihren Werken, aber auch über ihre eigene Vergangenheit Interviewt werden. Diese Hintergrundgespräche sind aber
auch online nochmals zu sehen.

Obwohl überwiegend schwarz-weiß Fotografien gezeigt werden, wirken diese oft so dynamisch, so lebendig, dass sie quasi als farbig bezeichnet werden könnten. Die angewendete Bildsprache zeigt nicht selten überbelichtete und verschwommene Szenen von tanzenden, feiernden Menschen. Gerade durch diese Ästhetik – amateurhaften Partyfotos nicht unähnlich – wirken viele Ausstellungsfotos auch nach über 30 Jahren nah und lebendig. Die sich drehenden, tanzenden Menschen scheinen nicht still zu stehen, und so ist es fast, als höre man den Lärm der Musik und der feiernden Menschen, als rieche man den Qualm der Zigaretten, den Schnaps und den Schweiß durch die Bilder hindurch in der Gegenwart.
Zur Ausstellung ist ein opulenter Ausstellungskatalog erschienen. Das 240-seitige Buch beinhaltet neben den gezeigten Fotografien auch die dazugehörigen Künstler:innen-Begleittexte aus der Ausstellung sowie weitere Kontextualisierungen zu den Entstehungsbedingungen der Fotos. In der Jenaer Kunstsammlung wird die Ausstellung noch bis zum 15. Oktober 2023 zu sehen ein, ehe sie im nächsten Jahr nach Brandenburg weiterzieht. Ein Besuch lohnt in jedem Fall.


Jonathan Horn
Student Kulturgeschichte, Jena

Meldung vom 14. Juli 2023

Neue Ausgabe der Zeitschrift „Gerbergasse 18“ zum Schwerpunkt MUSIK erschienen

Immer wieder prägten musikalisch-politische Ereignisse die deutsch-deutsche Teilungsgeschichte. Darunter der „Beataufstand“ 1965 in Leipzig, als junge Musikfans gegen die rigide Kulturpolitik des SED-Staates aufbegehrten, das Kölner Konzert und die anschließende Ausbürgerung von Wolf Biermann 1976, der friedensbewegte Auftritt von Udo Lindenberg 1983 im Ostberliner „Palast der Republik“ oder als 1988 über Hunderttausend „Born in the USA“ von Bruce Springsteen auf dem Gelände der Radrennbahn Weißensee hymnisch mitsangen – das größte Konzertereignis in der Geschichte der DDR.
In der neuen Ausgabe der „Gerbergasse 18“ wird der thematische Bogen von der Kirchenmusik bis zum Heavy Metal gespannt. Das zeigt beispielhaft und ausschnittweise, wie vielschichtig und verästelt das Gebiet der musikhistorischen Forschung ist. Aber auch die unmittelbare Gegenwart wirkt zurück auf die Musikhistorie. Der russische Überfall auf die Ukraine veranlasste die „Scorpions“ dazu, den Text ihres Welthits „Wind of Change“ zu ändern. Damit möchte die Band, so Frontmann Klaus Meine, einer Romantisierung Russlands entgegenwirken. Der Song entstand unter den Eindrücken von Konzerten der Gruppe 1988 in Leningrad und symbolisierte Ende 1990, als der Titel veröffentlicht wurde, die Hoffnung auf eine friedvollere Welt. Inzwischen habe das Lied aber seine Bedeutung als Friedenshymne eingebüßt.
Das Heft 107 wartet mit vielen weiteren spannenden Beiträgen auf. Darunter ein Bericht über die Urteile sowjetischer Militärtribunale in Dresden, wo zwischen 1945 und 1953 rund 2500 deutsche Zivilisten verurteilt wurden. Ein Artikel zur politischen Geschichte der Technischen Hochschule Ilmenau zieht Bilanz nach einer mehrjährigen Forschungsarbeit. Unter der Überschrift „Sibirisches Erdgas für Westeuropa“ wird auf ein Jahrhundertprojekt zurückgeblickt. Die Trassenprojekte der DDR lassen sich aber auch mit Fragen nach Energiesicherheit und geostrategischen Abhängigkeiten in der Gegenwart verbinden. Des Weiteren widmet sich ein Text der Transportpolizei der DDR, die gemeinhin als „Bahnpolizei“ galt. Es wird gezeigt, dass die Trapo nicht lediglich der verlängerte Arm der Stasi war, aber gleichwohl intensiv an diese berichtete. Rezensionen zu aktuellen Neuerscheinungen runden die Ausgabe ab. Neben Besprechungen zum Film „In einem Land, das es nicht gibt“ über die DDR-Modewelt und zu einer Studie über das Reisen und den Tourismus im Sozialismus wird die Streitschrift „Der Osten. Eine westdeutsche Erfindung“ einer kritischen Prüfung unterzogen.

Das Inhaltsverzeichnis und einige Leseproben finden Sie HIER.

Die neue Ausgabe der „Gerbergasse 18“ (Heft 107) ist im lokalen Buchhandel oder direkt über die Geschichtswerkstatt Jena erhältlich.

 
 
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