Meldungen des Jahres 2016
Das Ringen um die Wahrheit & Was bedeutet Widerstand? Der 23. Tag der Thüringischen Landesgeschichte fand in Jena statt
Einmal im Jahr werden Geschichts- und Heimatvereine, Museologen, Archivare, Ortschronisten, Heimatforscher und allgemein an Geschichte(n) Interessierte zum Tag der Thüringischen Landesgeschichte eingeladen. In diesem Jahr fand die Veranstaltung am 17. September in Jena statt, ausgerichtet als gemeinsame Tagung von der Historischen Kommission für Thüringen, der Gesellschaft für Thüringische Kirchengeschichte sowie dem Verein für Thüringische Geschichte. Das Universitätshauptgebäude war von 10 bis 17 Uhr der Ort für wissenschaftliche Vorträge und Fachgespräche über neue Publikationen und Forschungsprojekte zu landesgeschichtlichen Themen.
Den Höhe- und Bezugspunkt der Tagung bot die über 1000-seitige Neuerscheinung „Marie Begas. Tagebücher zum Kirchenkampf 1933–1938“ (herausgegeben von Heinz-Werner Koch, Folkert Rickers und Hannelore Schneider, zum Druck gebracht von Johannes Mötsch) als neueste Veröffentlichung der Historischen Kommission für Thüringen (= Große Reihe, Bd. 19). Die kommentierten Tagebuchaufzeichnungen der Marie Begas (1883–1969), seit 1921 Mitarbeiterin im Eisenacher Landeskirchenamt, wurden auf Grundlage von umfangreichem Quellmaterial im Landeskirchenarchiv Eisenach über viele Jahre und Bearbeitungsetappen erschlossen. Ein zweiter Band für die Jahre nach 1938 soll folgen.
In einem mitreißenden Plenarvortrag skizzierte Christopher Spehr (Professor am Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena) die ambivalenten Deutungen des Kirchenkampfes in Thüringen während der NS-Herrschaft, in dem Begas zugleich Akteurin und Chronistin war. Der im Untertitel als „Kritische Bestandsaufnahme und historiographische Perspektiven“ bezeichnete Vortrag stellte die Vorläufigkeit von moralischen Urteilen über das Verhalten von kirchlichen Amtsträgern nach 1933 heraus, um damit die Fragen zu schärfen: Wie verlief der Kirchenkampf konkret, wogegen wurde Widerstand geleistet und welches Gedankengut herrscht innerhalb der Gemeinden? Zugleich verwies er auf die Quellenwert von noch unerschlossenen Archivbeständen, den Nutzen von biografischen Zeugnissen oder die bestehenden Desiderate der kirchengeschichtlichen Forschung im 20. Jahrhundert in Thüringen. Spehr plädierte im Beisein von Honoratioren aus Stadt und Land abschließend für die Einrichtung eines „Zentrums für kirchliche Zeitgeschichtsforschung“, das in Jena interdisziplinäre Kompetenzen bündeln könnte. Gerade die Ausweitung von Forschungsfragen auf die DDR sei dabei geboten, die zukünftig als „Vor-Ort-Geschichten“ auch öffentlichkeitswirksam präsentiert werden sollten.
Am Nachmittag stellten je drei Fachvorträge in den Sektionen Mittelalter, Neuzeit und Zeitgeschichte ein breites Panorama der landesgeschichtlichen Forschung dar. So berichtete Christian Dietrich (Thüringer Landesbeauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur) über das Wirken von Marie Begas in der DDR bis 1961, als sie Thüringen – ohne ihr Tagebuch – verließ und die Editionsgeschichte der oben genannten Publikation begann.
Der nächste Tag der Thüringischen Landesgeschichte soll am 16. September 2017 stattfinden, Themen und Ort werden noch bekanntgegeben.
Siehe auch:
- Verein für Thüringische Geschichte: http://www.vthg.de
- Gesellschaft für Thüringische Kirchengeschichte: http://kirchengeschichte-thueringen.de
- Historische Kommission für Thüringen: http://www.historische-kommission-fuer-thueringen.de