Meldungen des Jahres 2018

Meldung vom 21. Dezember 2018

Die Geschichtswerkstatt Jena wünscht frohe Weihnachtstage und alles Gute im neuen Jahr

Die Geschichtswerkstatt Jena wünscht allen ein friedliches Weihnachtsfest und einen guten Rutsch in das neue Jahr 2019! Wir danken insbesondere allen Unterstützern, Förderern und Leser/innen im ablaufenden Jahr 2018.

Wir blicken zurück auf ein ausgefülltes und abwechslungsreiches Vereinsjahr, u.a. mit dem integrativen Bildungsprojekt „Blickpunkt Mensch“, dem historischen Bildungsprojekt „100 Jahre Ende des Ersten Weltkrieges – Was hat das mit uns zu tun?“, der Arbeit der Forschungsgruppe zum Tod von Matthias Domaschk 1981, mehreren Veranstaltungen, erfolgreichen Ausgaben der Zeitschrift „Gerbergasse 18“ und zuletzt zwei filmischen Dokumentationen unserer Projektreihe „Zeitzeugenwerkstatt“ zum Epochenjahr 1968 und zu den Erinnerungen der Kinder von Zeiss-Spezialisten, die zwischen 1946 bis 1952/53 in der Sowjetunion waren.

Auf die weitere Zusammenarbeit und neue Aktivitäten im nächsten Jahr freuen wir uns.


Vorstand und Mitarbeiter/innen der Geschichtswerkstatt Jena e.V.

Meldung vom 14. Dezember 2018

Wiederholungstermine für Zeitzeugenwerkstatt im Schillerhof Kino am 17. und 20. Dezember: 1968 & Zeiss-Spezialisten

Nach den erfolgreichen und sehr gut besuchten Premieren der filmischen Zeitzeugendokumentationen zu "1968" und den "Kindern der Zeiss-Spezialisten" werden beide Teile im Jenaer Schillerhof Kino vor Weihnachten wiederholt:

17.12.2018: 1968: Hoffnung Protest Ohnmacht. Skizzen eines Jahres

Eine filmische Zeitzeugendokumentation der Geschichtswerkstatt Jena

Beginn: 16.00 Uhr, Ort: Schillerhof Jena (Roter Saal), Eintritt frei!

20.12.2018: Fünf Jahre. Kinder von Zeiss-Spezialisten erzählen

Eine filmische Zeitzeugendokumentation der Geschichtswerkstatt Jena

Beginn: 16.00 Uhr, Ort: Schillerhof Jena (Blauer Saal), Eintritt frei.

 

Gesammelte Werke von Alexander Puschkin, Ausgabe eines Zeitzeugen, 1952.

 

Meldung vom 25. November 2018

Debatte um Zahl der Maueropfer Erwiderung

Im Heft 88 der "Gerbergasse 18"

Ein rbb-Bericht hat das Handbuch über die Todesfälle an der innerdeutschen Grenze z

 

Forschungsverbund SED-Staat weist Vorwürfe des rbb zurück

 

Der am 6. November 2018 ausgestrahlte Bericht des rbb über das vom Forschungsverbund SED-Staat 2017 vorgelegte biografische Handbuch „Die Todesopfer des DDR-Grenzregimes an der innerdeutschen Grenze 1949–1989“ enthält Falschbehauptungen, Unterstellungen und Mutmaßungen, die der Selbstverpflichtung des öffentlichen-rechtlichen Fernsehprogramms zu einer sachlichen und fairen Berichterstattung Hohn sprechen. Der von der rbb-Journalistin Gabi Probst verfasste Beitrag verschweigt bewusst die in diesem Handbuch enthaltene und einleitend begründete Gliederung in fünf Kapitel zu den Todesfällen an der innerdeutschen Grenze.

  • Das erste und ausführlichste Kapitel der wissenschaftlichen Studie enthält auf 417 Seiten 238 „Biografien der Todesopfer im innerdeutschen Grenzgebiet 1949-1989“.
  • Im zweiten Kapitel der Studie werden auf 51 Seiten 25 „Todesfälle in Ausübung des Grenzdienstes“ beschrieben. Hierbei handelt es sich um DDR-Grenzpolizisten und Grenzsoldaten, die von westlicher Seite oder von Fahnenflüchtigen erschossen wurden.
  • Im dritten Kapitel werden auf 27 Seiten 21 „Todesfälle im kausalen Zusammenhang des DDR-Grenzregimes“ dargestellt.
  • Im vierten Kapitel geht es auf 45 Seiten um 43 biografische Darstellungen über „Suizide in den Grenztruppen“.
  • Das fünfte Kapitel enthält auf 54 Seiten Informationen über „weitere Todes- und Verdachtsfälle“ und Begründungen dafür, warum diese nicht in die biografischen Kapitel aufgenommen worden sind.

Die 262 Todesfälle der ersten beiden Fallgruppen lassen sich den fünf oben erwähnen Kategorien des biografischen Handbuches über die Todesopfer an der Berliner Mauer 1961 bis 1989 zuordnen. Bei den 21 Todesfällen im kausalen Zusammenhang des DDR Grenzregimes existieren zu den in Moskau und Leipzig Hingerichteten keine vergleichbaren Fälle im Berliner Handbuch. Gleichwohl stehen diese Hinrichtungen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem DDR-Grenzregime, denn zum einen erfolgten alle Festnahmen der später hingerichteten Personen im Grenzraum, zum anderen bezogen sich die Urteilsbegründungen auf den Grenzdienst oder auf versuchte oder erfolgte Fluchten.

Zu den im rbb-Bericht erwähnten Einzelfällen.

Über die Selbsttötung des Majors der Grenztruppen Hans Schmidt heißt es in der Sendung, der rbb habe „in den Akten“ keine Belege für einen dienstlichen Zusammenhang des Suizids gefunden. Tatsächlich zitiert die Autorin des Beitrags Gabi Probst aus der beim DDR-Staatssicherheitsdienst in Berlin eingegangenen Meldung, nach der private und gesundheitliche Probleme „und daraus entstandene dienstliche Auseinandersetzungen die Motive für den Suizid sind, wobei die am 20.05.88 erfolgte Aussprache der Anlaß für die kurzfristige Entschlußfassung zum Suizid gewesen sein kann“.

Ausgerechnet der Kommandeur des Grenzausbildungsregiment Horst Jüttner, mit dessen Stellvertreter Hans Schmidt vor seinem Suizid das letzte Dienstgespräch führte, weist im rbb-Beitrag jegliche Mitverantwortung für die Verzweiflungstat von sich. Dabei richtete Schmidt seine auf einen Zettel geschriebenen letzten Worte anklagend an den Politoffizier, was Jüttner auch bekannt gewesen sein dürfte. Die entsprechende Passage auf dem Zettel lautete: „STKLPA [Abk. für Stellvertreter des Kommandeurs und Leiter der Politabteilung] und das ist für die Fahne. Ich habe gerne gelebt.“ Diese Sätze sind der rbb-Journalistin Gabi Probst bekannt; sie hat sie selbst im Gespräch mit Jochen Staadt zitiert, im ausgestrahlten Beitrag aber verschwiegen und zum dienstlichen Zusammenhang des Suizids behauptet. „Belege dafür fand der rbb in den Akten nicht.“

Als zweiten angeblich zweifelhaften Fall eines Suizides im dienstlichen Zusammenhang erwähnt der rbb-Beitrag den „Grenztruppenanwärter Bodo Panke“. Von einem „Grenztruppenanwärter“, was auch immer das sein soll, ist in dem biografischen Handbuch keine Rede. Über die Motive des Suizids von Leutnant Bodo Panke, der von ihm Nahestehenden als „überbetont feinfühlig“ beschrieben wurde, heißt es im dem Bericht der MfS-Untersuchungsabteilung: „Entgegen bestehender und ihm bekannter dienstlicher Weisungen und Befehle nahm Bodo Panke in der Zeit vom 14. bis 17. August 1979 Kontakte zu Bürgern aus dem nichtsozialistischen Ausland auf.“ Die Besucher waren Verwandte der Schwiegereltern aus Kanada. Panke habe, statt diesen Kontakt zu meiden, insbesondere zu der 19-jährigen Tochter des Ehepaares ein enges Verhältnis gesucht und nichts unternommen, um den kanadischen Staatsbürgern aus dem Weg zu gehen. Die MfS-Leute kamen zu dem Ergebnis, dass sich Panke „zur Selbsttötung entschloß, da er familiär zum wiederholten Male gescheitert war und zudem befürchtete, wegen seiner Kontakte zu den kanadischen Staatsbürgern dienstlich zur Verantwortung gezogen zu werden“. Offenbar war der Druck, der auf Panke lastete, so groß, dass er sich in einer ausweglosen Lage glaubte. Obwohl die rbb-Berichterstatterin auch diese MfS-Unterlagen kennt, verschweigt sie den dienstlichen Bezug.

Im dritten erwähnten Fall des Suizids eines Grenzsoldaten gibt die rbb-Berichterstatterin die im biografischen Handbuch enthaltenen Angaben dagegen verkürzt wieder. Darüber hinaus behauptet Frau Probst über den 21jährigen Soldaten Rainer Weiß herabwürdigend: „Weiß ist psychisch krank“. Den Unterlagen der Grenztruppen zufolge war Weiß im Kameradenkreis isoliert, wurde gehänselt und befand sich in einer Außenseiterrolle. In seinem Abschiedsbrief beklagte er, alle würden über ihn lachen, was er sich selbst zuzuschreiben habe. Er könne sich seine Probleme niemandem anvertrauen. Ein Zimmerkamerad beschrieb Weiß später als vergesslich, kontaktlos, unruhig und ängstlich. Er habe sich bei ihm über „wenig Freiheit“ und die anstrengende Ausbildung im Grenzdienst beklagt. Zuweilen habe sein Verhalten etwas Zwanghaftes gehabt, so etwa sein ständiges Putzen der Schuhe oder häufiges Aufräumen des Spindes. Andere Soldaten machten sich öfter über seinen „komischen Gang“ lustig und zogen ihn damit auf. Am 13. Januar 1970, dem Tag seines Suizids, sollte Rainer Weiß auf einer FDJ-Versammlung vor seinen Kameraden zu seinem Verhalten Stellung beziehen. Die Untersuchungsführer des MfS, sahen keinen Zusammenhang der Selbsttötung von Rainer Weiß mit seinen Problemen in der Truppe. Der rbb übernimmt in seinem Bericht kritiklos die MfS-Deutung einer „seelischen Depression“ ohne die oben beschriebenen Probleme des jungen Mannes auch nur zu erwähnen.

Zu den Suiziden im Grenzdienst

In dem einführenden Abschnitt des Handbuches zu den Suiziden in den DDR Grenztruppen heißt es: „Für die im folgenden Teil des Handbuches beschriebenen Suizide gilt im Sinne des von den Suizidforschern Werner Felber und Peter Winiecke entwickelten „Kausalitätsgefüges von Suizidalität“, dass Selbsttötungen nur selten monokausal begründet sind, sondern dabei „komplexe Ursachen auf mehreren Ebenen zusammenwirken“. Aus den von Felber und Winiecke aufgeführten variablen Ursachen sind für die im Rahmen dieser Untersuchung erfassten Suizide in den DDR-Grenztruppen die folgenden von Belang:

Ebene 1, basale Suizidalität: Psychische Erkrankungen (inklusive Sucht);

Ebene 2, personale Suizidalität: Existentiell bedrohliche Erlebnisse; körperliche Erkrankungen; Persönlichkeit, Charakter (-störungen);

Ebene 3, epiphänomenale Suizidalität: Gesellschaftliche Strukturen; Religiöse Traditionen; Methodenverfügbarkeit.

Wie die Prüfung von 203 als Teilergebnis dieser Untersuchung in den Überlieferungen von MfS und Grenztruppen aufgefundenen Meldungen über Selbsttötungen in den Grenztruppen ergab, fanden sich bei 22 Prozent der 203 Grenzpolizisten und Grenzsoldaten Hinweise auf dienstliche Probleme wie Angst vor Bestrafungen oder Maßregelungen, Widerwillen gegen den Kadavergehorsam, die tägliche Vergatterung zum Schießen auf Flüchtlinge und weitere Zumutungen des Grenzdienstes. Durch Hinweise von Angehörigen und Bekannten konnte zumindest in Einzelfällen die im internen Meldungsaufkommen stereotyp auftauchende Behauptung falsifiziert werden, der jeweilige Suizid sei aus privaten oder familiären Gründen erfolgt.“

Am 17. November 2012 stellte Dr. Staadt auf dem Verbändetreffen der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) in Berlin das Forschungsprojekt zu den Todesopfern des DDR-Grenzregimes an der innerdeutschen Grenze vor. Dabei wurde insbesondere die sensible Fallgruppe der „Suizide im Grenzdienst“ ausführlich erläutert. Der auf der Veranstaltung anwesende und nun als Kritiker im rbb präsentierte Dr. Christian Sachse meldete sich in der Diskussion über die Todesfallgruppe nicht zu Wort und erhob auch im Nachgang des Verbändetreffens ebenso wie andere Mitglieder der UOKG dagegen keine Einwände.

Die einseitige Darstellung des rbb-Beitrags geht mit keinem Wort auf die Kontexte der Einzelfallprüfung von Suiziden in den DDR-Grenztruppen durch das Forschungsteam ein. Die vom rbb verbreitete Behauptung, hier würden Täter zu Opfern gemacht entbehrt angesichts der Darstellung der konkreten Fälle jeglicher Grundlage.

Außerdem ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen dem rbb Unterlagen zur Verfügung gestellt hat, die dem Team des Forschungsverbundes SED-Staat bis zum Abschluss der biografischen Studie nicht vorlagen.

Auch zur Biografie des in Moskau hingerichteten Polizisten Walter Monien, der 1951 die Flucht in den Westen plante und von einem MfS-Informanten verraten wurde, enthält der rbb-Bericht gezielte Auslassungen wichtiger Zusammenhänge und Falschbehauptungen. Monien wird in der Sendung als „Ex-SS-Mann“ bezeichnet. Der in der rbb-Sendung als Experte auftretende Vertreter der UOKG, Dr. Christian Sachse, ein früherer Mitarbeiter des Forschungsverbundes SED-Staat, der 2006 in Unfrieden aus dem Forschungsverbund ausschied, erklärte in der rbb-Sendung wörtlich: „Den Fall des SS-Mannes Monien kann ich nur als gewollte Manipulation verstehen.“

Tatsächlich hatte sich Monien als 17jähriger – Jahrgang 1927 und nur drei Monate älter als Günter Grass – zur Waffen-SS gemeldet. Sein Einsatz dauerte vom Januar 1945 bis zur Gefangennahme durch sowjetische Truppen Anfang Mai 1945. Nach vier Jahren in sowjetischer Kriegsgefangenschaft meldete er sich freiwillig bei der Volkspolizei. Die in den MfS-Dokumenten behauptete „Erschießung von sowjetischen Kriegsgefangenen“ wurde von dem sowjetischen Militärtribunal, das ihn zunächst zu 25 Jahren Zwangsarbeit und dann auf Moskauer Weisung zum Tode verurteilte, nicht erwähnt. Das Urteil des Sowjetische Militärtribunal (SMT) in Halle gegen ihn erging wegen „Verleumdung und Agitation gegen die UdSSR, Anstiftung zu Terroranschlägen sowie antisowjetischer und antidemokratischer Propaganda“. Die rbb-Journalistin Gabi Probst wurde in mehreren E-Mails darauf hingewiesen, dass die Biografie von Walter Monien und die Urteilsbegründung dem Totenbuch „‘Erschossen in Moskau…‘. Die deutschen Opfer des Stalinismus auf dem Moskauer Friedhof Donskoje 1950–1953“, erschienen in 3. Auflage 2008, enthalten ist. Das Totenbuch wurde von Memorial Moskau, dem Forschungsinstitut Facts&Files und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur herausgegeben.

Dem darin enthaltenen biografischen Eintrag zu Walter Monien ist zu entnehmen, dass dieser von der Russischen Militärstaatsanwaltschaft am 15. Februar 1999 rehabilitiert wurde. Der rbb-Beitrag verschweigt auch diese Tatsache, obwohl sie der rbb-Journalistin Gabi Probst bekannt war. Die russischen Militärstaatsanwälte gingen 1999 mit den von stalinistischen Geheimpolizisten erzwungenen Aussagen Moniens wesentlich quellenkritischer um als der rbb in seinem Bericht. Völlig unkritisch verbreitet die öffentlich-rechtliche Anstalt die nach stalinistischen Verhörmethoden zustande gekommenen Aussagen Moniens eins zu eins in ihrer Sendung.

Schließlich bleibt anzumerken, dass die rbb-Journalistin Probst Interviewäußerungen von Experten, die dem voreingenommenen Zuschnitt ihres Beitrags nicht entsprachen, in die Sendung unberücksichtigt ließ. Ob sich ein derart tendenziöses Vorgehen mit dem Sendeauftrag des öffentlichen-rechtlichen Fernsehprogramms zu einer sachlichen und fairen Berichterstattung vereinbaren läßt, mögen die Verantwortlichen des rbb begründen, denen diese Erklärung zugeht.

 

Berlin, den 7. November 2018

Prof. Dr. Klaus Schroeder

Dr. Jochen Staadt

Ein rbb-Bericht versucht das Handbuch über die Todesfälle an der innerdeutschen Grenze zu desavouieren

Meldung vom 14. November 2018

Zwei Zeitzeugenfilme am 12. Dezember 2018 im Schillerhof Kino Jena: Zeitzeugendokumentationen zum Jahr 1968 und den Kindern von Zeiss-Spezialisten

In diesem Jahr haben wir unsere seit 2009 bestehende Reihe "Zeitzeugenwerkstatt" thematisch in zwei Richtungen fortgesetzt. Im Rahmen von Projekten zum Epochenjahr 1968 und dem Leben von Spezialisten-Familien der Firma Zeiss nach dem Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion haben wir über 30 Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen geführt. Daraus sind zwei filmische Zeitzeugendokumentationen entstanden, die wir am 12. Dezember 2018 im Schillerhof Jena öffentlich vorstellen möchten.

 

 

Fünf Jahre. Kinder von Zeiss-Spezialisten erzählen

Eine filmische Zeitzeugendokumentation der Geschichtswerkstatt Jena

12. Dezember 2018, Beginn: 16.00 Uhr, Ort: Schillerhof Jena (Blauer Saal), Eintritt frei.

Zu den einschneidenden Ereignissen unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs gehört in Jena die Demontage der Zeiss-Werke. Neben Maschinen und Geräten verließen Ende Oktober 1946 aber auch zahlreiche Zeissianer und ihre Familien die Stadt mit unbekanntem Ziel. Fünf Jahre lebten sie an verschiedenen Orten in der Sowjetunion und kehrten erst Anfang der 1950er Jahre zurück. Was haben sie erlebt?

 

 

1968: Hoffnung Protest Ohnmacht. Skizzen eines Jahres

Eine filmische Zeitzeugendokumentation der Geschichtswerkstatt Jena

12. Dezember 2018, Beginn: 19.00 Uhr, Ort: Schillerhof Jena (Blauer Saal), Eintritt frei!

1968 war ein Epochenjahr. Verdichtet auf wenige Monate ereignen sich in diesem Jahr weitreichende Entwicklungen, die auch für die nachfolgenden Jahrzehnte prägend sind: der Reformkurs des „Prager Frühlings“ in der ČSSR wird am 21. August durch eine militärische Invasion niedergeschlagen, Studentenproteste in Ost und West, politische Attentate und Bürgerrechtsbewegungen, Sprengung der Leipziger Universitätskirche, zwei deutsche Mannschaften bei Olympia, eine neue DDR-Verfassung und eine Strafrechtsreform vertiefen die deutsch-deutsche Teilung, der anhaltende Krieg in Vietnam erschüttert Menschen weltweit.

 

Beide Projekte entstanden durch finanzielle Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei,
JenaKultur, der Innovationsförderung der Stadt Jena, dem Carl Zeiss Förderfonds und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

 

Die zwei Veranstaltungen am 12. Dezember 2018 im Schillerhof Kino können auch separat voneinander besucht werden. Es wird kein Eintritt erhoben.

Weitere Zeitzeugendokumentationen der Geschichtswerkstatt Jena sind im YouTube-Kanal des Vereins verfügbar: www.youtube.com/user/gwsjena

Meldung vom 05. November 2018

Vor hundert Jahren ... Von Feinden zu Freunden. Ein Europäisches Erinnerungsmosaik vom 9. bis 11. November 2018 in Jena

Vor 100 Jahren erschütterte der Erste Weltkrieg das Leben und die politische Ordnung in Europa. Die Niederlage Deutschlands in diesem ersten weltumspannenden Krieg der Geschichte war zugleich das Ende des Kaiserreichs, getragen und begleitet durch revolutionäre Bewegungen hierzulande als auch in Europa.

Das gemeinsame Veranstaltungsprogramm städtischer und zivilgesellschaftlicher Akteure aus Jena und befreundeter europäischer Städte lädt ein zu einem künstlerisch-nachdenklichen Erinnern an die Folgen des Ersten Weltkriegs, aber auch zu einem freudvollen Feiern unserer europäischen Freundschaften. Das Programm beginnt am Jubiläumstag der Revolution, am 9. November 2018 und endet am Datum des Waffenstillstands, das sich am 11. November 2018 zum 100. Mal jährt. Das Programmheft ist hier erhältlich.

Auch die Geschichtswerkstatt Jena ist mit einem Bildungsprojekt und einer Ausstellung beteiligt. Weitere Informationen: erinnerungsmosaik-jena.de

Ausstellung „100 Jahre Erster Weltkrieg – Was hat das mit uns zu tun?“

Die Ausstellung zeigt die Ergebnisse eines medialen Workshop, in dem Jugendliche aus Jena und Aubervilliers an Gedenkorten, in Archiven und mit Hintergrundmaterialien auf Spurensuche gegangen sind. Die Ausstellungsmacher sind 29 Schülern der Staatlichen Gemeinschaftsschule Lobdeburgschule Jena, der Staatlichen Gemeinschaftsschule Jenaplanschule Jena und dem Staatlichen Angergymnasium Jena.

Was hat dieser vor einhundert Jahren zu Ende gegangene Krieg mit der Lebensgegenwart junger Menschen zu tun? Welche Facetten hatte dieser Krieg? Wie erlebten ihn die Menschen? Was änderte sich in ihrem persönlichen Leben? Wie wirken die Ereignisse heute nach? Was verbindet die Ereignisse von damals mit den brennenden Fragen unserer Zeit? Das sind Fragen denen die Jugendlichen in dem Workshop nachgegangen sind und ihre eigene Antworten gefunden haben.

Damit leistet das Projekt einen aktiven Beitrag zu dem Prozess des Erinnerns an den Ersten Weltkrieg und gibt die Möglichkeit einer transnationalen Rezeption und Auseinandersetzung mit den Facetten des Krieges. Die Installation gibt den Betrachtern einen heutigen, individuellen, ästhetisch reflektierten Zugang zu dem historischen Thema und verdeutlicht unterschiedliche Aspekte der nationalen Erinnerung in Frankreich und Deutschland.

Ort: Rathausdiele (am historischen Marktplatz)

Zeitraum: 10. November 2018 (Eröffnung am 10.11. um 9 Uhr) bis 7. Januar 2019

Meldung vom 30. Oktober 2018

Geboren am 4. Februar 1961. Ein Nachruf auf Uwe Sinnig

Am 4. September 2018 verstarb im Alter von 57 Jahren Uwe Sinnig, auch bekannt unter seinen Spitznamen „Käse“ und später „Konrad“.

„Ich bin entsetzt und tieftraurig, hatte heute eine Karte von Rahel im Briefkasten, dass „Käse“ [Spitzname in Jena] bzw. „Konrad“ [Spitzname nach der Ausreise], also Uwe Sinnig, verstorben ist.“ Gerold Hildebrand, Berlin

„Unser Freund „Käse“ war gerade einmal 11 Monate älter als ich. Er bedeutete mir und für mich ganz persönlich eine tiefe Freundschaft in unserer Jenaer Zeit. Wir waren gemeinsam in der Lehre zum Installateur. Er war 17 und ich 16 Jahre alt, als wir uns kennenlernten und beide in die Junge Gemeinde gingen. Durch ihn erkannte ich, dass ich als einzelner Mensch Rechte habe und keine „Marionette“ irgendwelcher Willkür sein musste, und, dass wir gemeinsam etwas bewegen können. Das waren wichtige Erfahrungen. Sie tragen bis heute.“ Henning Pietzsch, Berlin

Für den 9. September hatten wir uns in Kassel verabredet, am Vorabend hat mich Rahel (seine Lebenspartnerin) benachrichtigt, dass Uwe am 4. September verstorben ist ... mit Herzinfarkt am Strand im Urlaub in Frankreich. Ich kann und will es bis heute nicht richtig an mich heranlassen den Gedanken an diesen Verlust von einem Freund. Dass unsere warmherzig-intimen Diskussionen und der innige Gedankenaustausch, auch und gerade der letzten Jahre ... mit all unseren inzwischen gesammelten unterschiedlichsten Erfahrungen ... nun nicht mehr sein wird. Er wird in meinen Gedanken & Gefühlen weiter leben. In tiefer Trauer.“  Peter Gräfe (Goofy)

 

Die Beerdigung fand am 6. Oktober 2018 im FriedWald bei Kassel statt.

Die traurige Nachricht vom plötzlichen Tod unseres Freundes wäre kaum von öffentlicher Bedeutung, wäre Uwe Sinnig, alias „Käse“ bzw. „Konrad", nicht einer der maßgeblichen Protagonisten der Jenaer Friedensgemeinschaft im Jahr 1983.

Schon als Schüler der 10. Klasse hinterfragte er die gesellschaftlichen Vorgaben in der DDR. 1976 sollte er beispielsweise eine Ergebenheitsadresse unterschreiben, die die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann begrüßte. Das war quer durchs Land an allen Schulen so üblich damals. Doch Uwe weigerte sich: „Ich kenne den Mann doch gar nicht!“ Direktor und Lehrer drohten ihm, er unterschrieb und hat sich das nie verziehen. Aber nun wollte er die Lieder Biermanns kennenlernen und konnte später manchen Text auswendig.

Mit 16 Jahren ging Uwe in die Lehre als Installateur und lernte darüber Akteure der Jenaer Jungen Gemeinde der offenen Arbeit in der evangelischen Kirchengemeinde in Jena kennen. In einem Alter also, wo vieles in Frage gestellt wird, die Suche nach dem eigenen Platz in der Gesellschaft beginnt. So weit, so normal. Wäre da nicht die Junge Gemeinde gewesen, getragen von der Idee einer offenen Kirchengemeinde unter dem Label „Offene Arbeit“. Die Jugendlichen, die hier zusammen kamen, waren oft ohne kirchlichen Bezug, wenig religiös oder gar ablehnend gegenüber Institutionen und Ritualen, wozu sie als säkularisierte Jugendliche auch die damalige Kirche zählten. Schnell jedoch verfing die Offenheit der Gemeinde. Es war nicht wichtig, ob religiöse Vorkenntnisse oder Bekenntnisse vorlagen. Und, in diesem Kirchenkreis, in dem die Jugendlichen nicht homogen agierten und dennoch ihren jugendlichen Alltag in Verbindung zueinander und in Überschneidung miteinander lebten, einem Netzwerk der Diversität also im Spannungsfeld zwischen Kirche und Staat, hier fand Uwe einen Platz, seinen Platz.

Hier diskutierte Uwe mit allen über das, was ihn und die Jugendlichen beschäftigte. Später engagierte er sich in mehreren Lesekreisen, auch in dem, der sich mit dem Buch „Alternative“ von Rudolf Bahro beschäftigte. Dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) sollte dieser Kreis bis zum Schluss verborgen bleiben, da es in ihm keinen Spitzel gab. Ein wichtiges Thema war viele Jahre das Thema Frieden vor dem Hintergrund der Systemauseinandersetzung und -konkurrenz zwischen Ost und West, der Kalte Krieg und die eigene Haltung gegenüber der realen Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung. Sollten die Jugendlichen Kriegsdienst im Namen einer Ideologie unhinterfragt leisten oder den Kriegsdienst, den der SED-Staat als Friedensdienst deklarierte, verweigern? Sollten sie sich unterordnen unter staatliche Zwangsmaßnahmen oder konnten sie ihren Pazifismus leben?

Uwe Sinnig (re.) im Urlaub der Jungen Gemeinde Stadtmitte zusammen mit
Exiljenaern in Polen, neben ihm Doris Liebermann, 1980. Quelle: ThürAZ, Sammlung/Foto Thomas Grund, Signatur: ThuerAZ-P-GT-F-061.03

Schnell entschied sich Uwe, so wie viele seiner Freunde, für die Wehrdienstverweigerung, zumindest aber für einen Dienst ohne Waffe in der Hand. Seine Verweigerung war aber nicht nur pazifistisch motiviert. In dieser Armee wollten er und viele seiner Freunde nicht dienen, weil sie sich mit dem Staat DDR nicht identifizierten. Ältere erzählten auch wie es in dieser sogenannten Volksarmee abging, was sie erlebt hatten. Nicht zuletzt standen oft auch die angeeigneten christlichen Werte im Widerspruch zum verpflichtenden Kriegsdienst. Die daraus von SED und Stasi abgeleitete staatsfeindliche Haltung wurde vom Staat mit allen Mitteln bekämpft. Uwe und seine Freunde gerieten so schnell ins Visier der Stasi, weil sie den Kriegsdienst ablehnten, sich den Mund, das Denken und das aus innerer Überzeugung resultierende Handeln nicht verbieten lassen wollten.

1982 bildete sich im Umfeld der Jungen Gemeinde Stadtmitte eine kleine Gruppe Jugendlicher heraus, in der Uwe und seine Freunde immer wieder überlegten, wie sie ihrer Überzeugung in der eingemauerten DDR-Gesellschaft Ausdruck verleihen könnten, und, wie sie auf die realen Kriegsgefahren aufmerksam machen und ihre Meinung öffentlich sagen konnten. Ein erster Appell der Gruppe im Januar 1982 unter dem Motto „Keine Moneten für Raketen" wurde noch unterbunden. Ein Stasi-Spitzel im Dienst der Kirche verriet den Aufruf und die Inhalte noch in der Nacht des Entstehens. In einem operativen Vorgang des MfS hieß es später dazu, „durch die zeitnahen Informationen des inoffiziellen Mitarbeiters (IM) „Runge" gelang es den operativen Mitarbeitern, die öffentlichkeitswirksame Aktion zu verhindern. Operative Gegenmaßnahmen sind eingeleitet". Die Beteiligten und einige aus dem Umfeld wurden postwendend verhaftet und verhört. In die Presse im Westen lancierte Berichte und Proteste verhinderten Schlimmeres. Die verhörten Akteure kamen alle wieder frei, vorerst. Der Aufruf ging als „Jenaer Appell“ in die Geschichte ein.

Nach weiteren öffentlichen Aktionen im Jahr 1982, unter anderem zwei Schweigeminuten für den Frieden, wovon die zweite Ende Dezember unterbunden werden konnte, kam es im März 1983 zum ultimativen Konflikt mit der Staatsmacht. Die Friedensgemeinschaft Jena wollte am 19. März 1983 eine eigene Gedenkveranstaltung aus Anlass des 38. Jahrestages der Bombardierung Jenas im Zweiten Weltkrieg organisieren. Mitten im Stadtzentrum. Uwe Sinnig und sein Freund Michael Rost, beide gingen gemeinsam zur Stadtverwaltung, Abteilung Innere Angelegenheiten. Dort wurden sie tatsächlich vorgelassen. Als sie ihr Anliegen vorgetragen hatten, bekamen die damals Verantwortlichen der Stadt vermutlich heftige Schnappatmung. Sie fragten in großer Erregung nach, wer eine solche Gedenkveranstaltung beantrage. Die Mitarbeiter der Abteilung Innere Angelegenheiten wähnten wohl eine staatliche Organisation dahinter. Weit gefehlt, die beiden Jungs, ringend um eine Antwort, meinten kurzerhand, Organisator sei die unabhängige Friedensgemeinschaft Jena. Das war zugleich die namengebende Geburtsstunde der Jenaer Friedensgemeinschaft (FG).

So etwas hatte es noch nicht gegeben. Bürger der Stadt wollten außerhalb und unabhängig von staatlichen Organisationen politisch aktiv werden, und das auch noch als eigenständige Gruppe und in aller Öffentlichkeit. Nie zuvor war das Thema öffentlich besetzt. Jetzt schon. Auch Stasi-IM hatten das Ansinnen der Gruppe vorher nicht enttarnen können. Und so konnte die Stasi das Agieren der Gruppe auch nicht mehr verhindern. Was aber möglich war, war die ideologische Besetzung dieses Datums. Die staatlichen Stellen organisierten in aller Eile eigene Gedenkveranstaltungen am 18. und 19. März 1983.

Zur eigentlichen Kranzniederlegung im Zentrum der Stadt warfen die herbeizitierten SED-Genossen und verpflichtete „Arbeiter“, von der Stasi „gesellschaftliche Kräfte“ genannt, immer wieder ihre Kränze über die der Friedensgemeinschaft. Es war „ein richtiges Gezerre", wie Zeitzeugen später berichten und Fotodokumentationen belegen. Offene Gewalt scheute die Staatsmacht an beiden Tagen weitgehend, auch, weil die Kirchengemeinde der Stadt in den „Konflikt" einbezogen war und nun „vermitteln" sollte.

Uwe Sinnig (hinten rechts) während einer eigenständigen Demonstration der Jenaer Friedensgemeinschaft (FG) anlässlich des 38. Jahrestages der Bombardierung Jenas im Zweiten Weltkrieg, 18. März 1983. Weitere Mitglieder der FG im Bild (v.l.n.r.): Frank Rub, Jörg Knaack, Roland Jahn (mit einem Bild von Michael Blumenhagen). Quelle: ThürAZ, Sammlung Carsten Hahn, Fotograf Bernd Albrecht, Sgnatur: ThuerAZ-P-HC-F-006.08

Mitte 1983 wurden Uwe Sinnig und zahlreiche Freunde, darunter Roland Jahn, dem wie vielen anderen zumeist kurzzeitig Inhaftierten ein so genannter „Ausreiseantrag" in Haft abgepresst wurde, in den Westen abgeschoben. Uwe blieb auch nach seiner Abschiebung in die Bundesrepublik ein politischer Mensch und sich selbst treu. Das Rampenlicht der Öffentlichkeit brauchte er dafür aber nicht. Nach dem Erlernen der Berufe als Masseur und Bademeister sowie Physiotherapeut arbeitete und lebte er seit der Jahrtausendwende im hessischen Kassel. Sein Hauptschwerpunkt in der Arbeit lag stets in der ganzheitlichen Behandlung des Menschen. Diese Arbeit entsprach seinem Wesen und seinem Handeln. Genau so werden seine Familie und Freunde ihn in Erinnerung behalten, als ganzheitlich denkenden und integrativ wirkenden Menschenfreund.

Wie alles begann und wie das Ganze ausging, ist in verschiedenen Veröffentlichungen nachzulesen.

 

Weiterführende Literaturhinweise:

- Gewisser Nachwuchs: Mit der größten Ausbürgerungsaktion seit 1976 will die DDR die staatsunabhängige Friedensbewegung im Land schwächen, in: Der Spiegel vom 30.5.1983, online: http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/14020552;

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14020552.html

- Philipp Dreesen: Diskursgrenzen. Typen und Funktionen sprachlichen Widerstands auf den Straßen der DDR, Berlin 2015.

- Gerold Hildebrand: Von der SED verfolgt. Die Friedensgemeinschaft Jena, in: tilt, Ausgabe 3/97, online: https://www.tiltonline.net/archiv/hefte/tilt9703/jena.htm

- Horch & Guck, Sonderheft 1/2000, online: http://www.horch-und-guck.info/hug/archiv/2000-2003/sonderheft-1/inh/

- Ehrhart Neubert / Thomas Auerbach: "Es kann anders werden". Opposition und Widerstand in Thüringen 1945-1989, (= Europäische Diktaturen und ihre Überwindung. Schriften der Stiftung Ettersberg, Bd. 3), Köln/Weimar/Wien 2005.

- Henning Pietzsch: Jugend zwischen Kirche und Staat. Geschichte der kirchlichen Jugendarbeit in Jena 1970–1989, (= Europäische Diktaturen und ihre Überwindung. Schriften der Stiftung Ettersberg, Bd. 5), Köln/Weimar/Wien 2005.

- Udo Scheer: Vision und Wirklichkeit. Die Opposition in Jena in den siebziger und achtziger Jahren, Berlin 2002.

Meldung vom 27. Oktober 2018

Buchvorstellung und Lesung zum Zeiss-Gerenaldirektor Wolfgang Biermann (1927–2001) von Dr. Dietmar Remy am 29. Oktober 2018 in Jena

Am 29. Oktober 2018 stellt Dr. Dietmar Remy sein Buch „Zeiss-Generaldirektor Wolfgang Biermann. Ein sozialistischer Manager im Tradtionsunternehmen“ vor (erschienen im Wissenschaftsverlag Garamond 2018, 540 Seiten, 29,90 €). Die Veranstaltung beginnt um 19:30 Uhr im Jenaer Volkshaus/Ernst-Abbe-Bücherei (2. Etage, Raum 10) und findet im Rahmen des diesjährigen Lesemarathons statt. Mehr Informationen zum Buch finden Sie hier.

„Der Tag hat 24 Stunden, und wenn einer 12 Stunden täglich arbeitet, dann handelt es sich um eine Halbtagskraft.“ Wolfgang Biermann (1927–2001), von dem das Zitat stammt, galt als einer der bedeutendsten Wirtschaftsführer der DDR. Von 1969 bis 1975 lenkte er als Generaldirektor mit harter Hand das Werkzeugmaschinenkombinat „7.Oktober“ in Berlin. Danach übernahm er seine wichtigste Mission: die Leitung des traditionsreichen Zeiss-Werkes. Innerhalb weniger Jahre entwickelte er den VEB Carl Zeiss Jena zum Vorzeigekombinat, das immer mehr Leistungen für die Volkswirtschaft der DDR erbrachte. Konsumgüter, Wehrtechnik und Mikroelektronik ergänzten in seiner Ära die Erzeugnisse des wissenschaftlichen Gerätebaus. Trotz mancher Erfolge blieb Biermann aufgrund seines autoritären Führungsstils bis zu seinem Rücktritt 1989 ein umstrittener Unternehmensleiter. Nicht wenige seiner 63.000 Mitarbeiter charakterisierten den ehrgeizigen Chef als „Menschenschinder“.

Dietmar Remy, geboren 1966 am Niederrhein, studierte Geschichte, war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Uni Jena und legt mit seinem Buch die erste Biografie über den umstrittenen sozialistischen Manager Wolfgang Biermann vor.

Die letztjährige Ausgabe der "Gerbergasse 18" mit dem Schwerpunkt "Wirtschaft" (Heft 84), in dem Dr. Remy einen Beitrag über Wolfgang Biermann beisteuerte, ist bei uns noch erhältlich.

Meldung vom 23. Oktober 2018

Bericht der unabhängigen Historikerkommission zur Geschichte der Ost-CDU (1945 bis 1990) veröffentlicht

Die Geschichtswerkstatt Jena begrüßt die Vorstellung des Berichtes der unabhängigen Historikerkommission zur Geschichte der CDU in Thüringen und in den Bezirken Erfurt, Suhl und Gera von 1945 bis 1990. Seit 2016 arbeitete die Historische Kommission, der als Mitglied auch der Vorsitzende der Geschichtswerkstatt Jena, Dr. Henning Pietzsch, angehörte. Dem veröffentlichten Bericht soll im kommenden Jahr eine ausführliche Publikation des Bearbeiters Bertram Triebel folgen. Der Bericht ist hier abrufbar.

 

Meldung vom 05. Oktober 2018

Neue Ausgabe der „Gerbergasse 18“ zum Schwerpunkt Grenzen und Gewalt erschienen

Mauern und Grenzzäune erleben derzeit eine Wiederkehr, Abschottung hat Konjunktur. Selbst in Europa sind Grenzanlagen – gut 30 Jahre nach Ende des Eisernen Vorhangs – häufig die erste Wahl der Mittel. Die neue Ausgabe der Zeitschrift „Gerbergasse 18“ widmet sich dem Themenfeld Grenzen und Gewalt in der Geschichte und spannt dabei den Bogen in die Gegenwart.

Wo sich entlang des früheren Todesstreifens mittlerweile ein „Grünes Band“ bildet, zielt der Rückblick auf die sichtbaren und auch unsichtbaren Narben des DDR-Grenzregimes bis heute. Dass wir die Grenzopfer namentlich kennen und um ihre Biografien wissen, ist Ergebnis intensiver und jahrelanger Recherchen, etwa in Form eines biografischen Handbuchs des Forschungsverbundes SED-Staat der FU Berlin, das kürzlich erschien. Andere Beiträge des Titelthemas fragen nach den Folgen der Zwangsaussiedlungen 1952 in Thüringen, spektakulären Fluchtwegen von DDR-Bürgern, der Zwangsmigration in der Tschechoslowakei ab 1948 oder dem dichten Netz an Agentenschleusen der Stasi in Richtung Oberfranken. In einem Interview berichtet die amerikanische Autorin Isabel Fargo Cole über die Entstehung ihres Romans „Die grüne Grenze“.

Daneben bietet die neue „Gerbergasse 18“ wieder eine Fülle an weiteren Beiträgen zur Zeitgeschichte, darunter ein biografischer Rückblick auf die Verfolgung der kirchlichen Jugendarbeit in der DDR, die Ausbürgerung des russischen Schriftstellers Alexander Solschenizyn im Jahr 1974 und neue Forschungen zum berüchtigten Militärgefängnis Schwedt. In der Rubrik Diskussion plädiert der 1953 in Jena geborene Roland Jahn, seit 2011 Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, für einen veränderten Umgang mit den Lebenserfahrungen in der Diktatur. Jahn argumentiert, dass das Aufklären, das Erzählen und das Reflektieren des eigenen Verhaltens in der DDR eine Chance für gegenseitigen Respekt vor der Biografie ist, denn Schweigen und Wegsehen lässt das Geschehen nicht verschwinden.

Das Inhaltsverzeichnis und Leseproben finden Sie hier.

Die Ausgabe 3/2018 der „Gerbergasse 18“ (Heft 88) ist ab sofort im Buchhandel und direkt bei der Geschichtswerkstatt Jena erhältlich.

Meldung vom 13. September 2018

Diskutieren, Spähen und Musik – Das 5. Bürgerfest des Geschichtsverbundes lockte Interessierte nach Erfurt

Bunte Kreidekunstwerke auf dem Pflaster, Informationsstände von Geschichtsvereinen und eine den ganzen Tag geöffnete Gedenkstätte, das alles bot das Bürgerfest des Geschichtsverbundes Thüringen am 9. September in Erfurt. Parallel zum Tag des offenen Denkmals hatten Besucher nicht nur die Möglichkeit, durch die Gedenkstätte der ehemaligen Stasi-Untersuchungshaft in der Andreasstraße geführt zu werden, sondern auch viele Vereine und Initiativen kennenzulernen, die sich in Thüringen mit Geschichte und Aufarbeitung beschäftigen. Im Innenhof wurde am Stand der Geschichtswerkstatt Jena auch die Zeitschrift „Gerbergasse 18“ vorgestellt und die Gäste konnten mit der Redaktion direkt ins Gespräch kommen, was auch rege genutzt wurde. Während das Podiumsgespräch mit Historikern und Zeitzeugen zum Thema „Dubček, Dutschke, Flower-Power: 1968 und die Sehnsucht nach Veränderung in Ost- und Westdeutschland“ im vollen Gange war, bin ich mit der letzten Führung in die Gedenk- und Bildungsstätte geschlüpft.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Stand der Geschichtswerkstatt Jena auf dem Bürgerfest am 9. September, Foto: GWS

 

Zuerst wurden wir in die weitgehend im Originalzustand erhaltene Haftetage geführt, wo die Gefängnisarchitektur, die blickdichten Fenster, die Türspione in zweifacher Ausführung und die Toiletten im Schlaf- und Wohnraum eindrücklich von den Bedingungen der Untersuchungshäftlinge der Stasi erzählen. Vor allem berührte mich die Sprachaufnahme einer ehemaligen politischen Gefangenen, deren Sprachmelodie und Akzent der meines Großvaters ähnelte. Aus ihrer abgebildeten Stasiakte habe ich ihren Wohnort erfahren: Sie lebte in derselben Straße, in der heute noch meine Großeltern wohnen. Ich habe mir vorgenommen, sie nach ihrer ehemaligen Nachbarin, die von der Stasi in die Andreasstraße gebracht wurde, zu fragen. Dazu werden mir die Siegelreste an den Zellentüren, die von der Geschichte der Andreasstraße im Dezember 1989 zeugen, im Kopf bleiben. Unsere Führung wurde fortgesetzt im Ausstellungsteil „Diktatur“. Der Ausstellungsbegleiter zeigte uns vor allem den Raum zur Geschichte der Staatssicherheit, an dessen Wänden die Besucher durch Türspione weitere Ausstellungstexte erspähen konnten. Als Lernende dieser Geschichte, von der Ausstellung umgeben, habe ich das Spähen als persönliche und auch körperliche Erfahrung als heftig und auch unangenehm empfunden.

Die Führung endete im Ausstellungsteil „Revolution“, in dem größten Raum der Dauerausstellung. Dort stand ich als Besucher zwischen Pappaufstellern mit Demonstranten, praktisch inmitten einer der Proteste im Herbst 1989. Schade war aus meiner Sicht, dass in diesem Ausstellungsteil die lokalen Bezüge zu den Geschehnissen in der Andreasstraße selbst, im Dezember 1989 und danach, fast nicht zu erkennen waren. Der Bereich endete mit dem Mauerfall am 9. November 1989 und unterstrich damit architektonisch den Zäsurcharakter und die Alleinstellung, die diesem Datum in der aktuellen Geschichtsschreibung zugeschrieben wird. Die beiden darauffolgenden kleinen Räume versäumen meiner Meinung nach die brisante Transformationszeit, die dem 9. November folgte, differenziert und im lokalen Kontext darzustellen. Die Machtverschiebung in der Gestaltung dieser Transformation, von den Demonstrierenden im großen Raum zu dem riesigen Wandbild von Helmut Kohl als Einheitskanzler in dem Schwarz-Rot-Gold gefärbten letzten Raum, bleibt weitgehend unreflektiert. Ich habe die Ausstellung mit vielen offenen Fragen zu dem letzten Jahrzehnt der Andreasstraße verlassen. Wer brach die Siegel an den Türen mit den Akten später? Wieso blieb die Andreasstraße bis 2002 ein Gefängnis? Wie verläuft ein Systemwechsel in einer Gefängnisadministration?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Podiumsdikussion zum Jahr 1968 in Ost und West auf dem Bürgerfest in Erfurt, Foto: GWS

 

Die letzten Besucher aus der Ausstellung gelockt haben die Trompetentöne von Maik Mondial. Die fünfköpfige Band spielte Jazz und Weltmusik, inspiriert von der Musik des Balkans. Da ratterte eine Belgrader Straßenbahn in die Erfurter Nacht, gefolgt von Tanzmelodien einer serbischen Hochzeit. Die manchmal zarten, manchmal wilden und mitreißenden Stücke klangen über den Domplatz und zogen noch mehr Menschen auf das Gelände der Andreasstraße. Das Konzert wurde zu einem gelungenem und beschwingten Abschluss des Bürgerfestes.

 

Emilia Henkel

Studentin Friedens- und Konfliktforschung, Jena

Meldung vom 11. September 2018

„Staatliches Doping in der DDR und die Folgen“ – Vortrag, Lesung und Podiumsdiskussion mit Gesine Tettenborn, Heike Knechtel und Thomas Purschke

Am 26. September findet um 18:30 Uhr im Erfurter Haus Dacheröden (Anger 37) ein Vortrags- und Diskussionsabend mit der ehemaligen Erfurter Spitzensportlerin Gesine Tettenborn, dem Sportjournalisten Thomas Purschke und Heike Knechtel von der Doping-Opfer-Hilfe (DOH) zum Thema Staatsdoping in der DDR statt.

Im staatlichen Auftrag wurden rund 12.000 Hochleistungs- und Nachwuchssportler in der DDR gedopt. Viele erlitten hierdurch gesundheitliche Schäden, deren Spätfolgen teilweise erst jetzt zu Tage treten.

In seinem einführenden Vortrag spricht der Sportjournalist Thomas Purschke über die Geschichte des Dopings in der DDR und die Verstrickungen von Thüringer Medizinern und Wissenschaftlern in den so genannten „Staatsplan Sieg“.

Im Anschluss liest die ehemalige Erfurter Spitzensportlerin Gesine Tettenborn (geb. Walther) aus ihren unveröffentlichten Zeitzeugenerinnerungen. In Folge des DDR-Staatsdopings leidet die einstige Leichtathletin bis heute; körperlich wie psychisch. Sie hat sich 2010 von der Weltrekordliste streichen lassen, da ihre Leistungen durch Doping unterstützt wurden.

Heike Knechtel von der Doping-Opfer-Hilfe informiert schließlich im Rahmen der Veranstaltung zur derzeitigen Lage von Betroffenen, der Rehabilitierungspraxis und zum aktuellen Hilfsfonds für Doping-Opfer. Abschließend diskutieren Heike Knechtel, Gesine Tettenborn und Thomas Purschke unter der Moderation von Christian Dietrich über den Stand der Aufarbeitung des DDR-Sports in Thüringen.

Der Thüringer Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur lädt interessierte Bürgerinnen und Bürger herzlich zu der Veranstaltung am 26. September um 18:30 Uhr in das Erfurter Haus Dacheröden (Anger 37) ein.

 

Beratungstag der Doping-Opfer-Hilfe in Erfurt

Am darauffolgenden Donnerstag (27. September) findet ein Beratungstag für Doping-Opfer mit Beratern der Doping-Opfer-Hilfe in Erfurt statt. Interessierte werden um vorherige Anmeldung bei der Bundesgeschäftsstelle des DOH e.V. in Berlin gebeten. Telefon: 030-80493312 E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Meldung vom 03. September 2018

Von Wunsch und Wirklichkeit: 1968 in der DDR – fünftes Bürgerfest des Thüringer Geschichtsverbundes am 9. September 2018

»Ho, Ho, Ho Chi Minh!« hallt es 1968 durch Westberliner Straßen. »Viva Dubček« skandieren Demonstrierende zur gleichen Zeit auf dem Prager Wenzelsplatz. Nur in der DDR bleibt es ruhig. Der Sommer vergeht und es passiert – Nichts. Doch stimmt diese Wahrnehmung? Geht ´68 wirklich an der DDR vorbei? Oder gibt es doch Aufbruch, Veränderung, gar Revolution? Der Thüringer Geschichtsverbund macht sich auf die Suche und fragt, wie Ostdeutsche damals die Ereignisse wahrnehmen. Wir wollen zeigen, dass 1968 auch in der DDR gesellschaftlicher Wandel stattfindet und es viele Spielarten des Protestes gibt: politisch, künstlerisch, alltäglich.

Am 9. September 2018 lädt der Thüringer Geschichtsverbund zusammen mit der Stadt Erfurt ab 14 Uhr in und um die Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße zum fünften Bürgerfest ein. Unter dem Thema »Von Wunsch und Wirklichkeit: 1968 in der DDR« stellen die Vereine, Gedenkstätten, Grenzlandmuseen, Archive und Beauftragten des Geschichtsverbundes auf einem ›Marktplatz‹ ihre Arbeit vor. Kinder können sich einen ganzen Tag lang durch die Geschichte rätseln und bei einem ›Live-Hörspiel‹ dabei sein.

Es gibt Führungen durch das Haus und bei der Podiumsdiskussion »Dubček, Dutschke, Flower-Power: 1968 und die Sehnsucht nach Veränderung in Ost- und Westdeutschland« um 16.30 Uhr wird der Moderator Dr. Claus Löser (Historiker) mit seinen Gästen Dr. Stefan Wolle  (Historiker), Franziska Groszer (Zeitzeugin Ost) und Klaus-M. von Keussler (Zeitzeuge West) über unterschiedliche Erinnerungensprechen.

Getanzt wird ab 18:30 Uhr! Die Band MAIK MONDIAL spielt mit Vollgas um die WELTmusik.

Der Eintritt für den Tag und das Konzert ist frei.

Meldung vom 29. Juni 2018

Heft 87 der „Gerbergasse 18“ mit dem Schwerpunkt Sportsysteme erschienen

Die neue Ausgabe der Zeitschrift „Gerbergasse 18“ widmet sich dem populären Themenfeld Sport. Parallel zur momentan stattfindenden Fußball-Weltmeisterschaft blicken die Beiträge des Heftes vor allem auf das „Sportwunderland“ DDR und seine Folgen bis in die Gegenwart.

Vor 30 Jahren stand die DDR auf dem 2. Platz des Medaillenspiegels der Sommerspiele von Seoul. Hinter der Sowjetunion und vor den Vereinigten Staaten sammelte das kleine Land in Südkorea 102 mal Edelmetall im Vergleich zur Bundesrepublik mit „nur“ 40 Medaillen. Die 1990 endende deutsch-deutsche Sportkonkurrenz gehörte als Leitmotiv zur Teilungsgeschichte, weil sportliche Wettkämpfe stets als Duelle im Systemvergleich stilisiert und interpretiert wurden: Wer ist besser, wer ist dem anderen überlegen? Die Gegenfrage stellt sich für viele ehemalige Sportlerinnen und Sportler oft erst nach Jahrzehnten, wenn ihre Körper nicht mehr mitspielen: Wie hoch war der Preis? Zu diesen und weiteren Folgefragen an die Rolle des Sports sprechen Ines Geipel, Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfe e.V., und Harald Freyberger, Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Klartext in zwei lesenswerten Interviews.

Die weiteren Beiträge im Heft richten sich unter anderem auf den Städtevergleich zwischen Leipzig und Potsdam während der Friedlichen Revolution 1989, die Überwachung des Gesundheitswesens und der Arbeitsmedizin im Bezirk Magdeburg, die Biografie des vor 20 Jahren verstorbenen Musikers Gerulf Pannach sowie originelle Fundstücke aus dem Stasi-Unterlagenarchiv. Eine Filmrezension stellt das 1956 spielende „Das schweigende Klassenzimmer“ und die umstrittene Satire „The Death of Stalin“ als Beispiele für anregende Geschichte(n) im Film gegenüber. Ein kritischer Blick auf den mühsamen Prozess der historischen Aufarbeitung an der Hochschule für Musik in Weimar rundet die neue „Gerbergasse 18“ ab.

 

Die Ausgabe 2/2018 der „Gerbergasse 18“ (Heft 87) ist ab sofort im Buchhandel, ausgewählten Museen/Gedenkstätten und direkt bei der Geschichtswerkstatt Jena erhältlich (Bestellungen bequem über unser Kontaktformular möglich).

Einige Leseproben und die Inhaltsübersicht der aktuellen Ausgabe findet sich hier.

Meldung vom 30. Mai 2018

1968 in der DDR – Interessierte Teilnehmer*innen für eine Zeitzeugenwerkstatt gesucht

Seit 2009 hat die Geschichtswerkstatt Jena mit der Projektreihe "Zeitzeugenwerkstatt" ein eigenes Format entwickelt und etabliert, um langfristig Zeitzeugenerinnerungen zu dokumentieren und in den Mittelpunkt zu stellen. In diesem Jahr möchten wir ein Projekt umsetzen, das sich mit dem Themenfeld "1968 in der DDR" beschäftigt. Bereits im Frühjahr thematisierte unsere Zeitschrift "Gerbergasse 18" den Schwerpunkt "1968".

Vor fünfzig Jahren verdichtet sich eine Vielzahl von Ereignissen und Einschnitten zu einem wegweisenden Epochenjahr: Vietnam-Krieg, politische Attentate, Jugendproteste in Ost und West, ein "Volksentscheid" über eine neue Verfassung in der DDR und nicht zuletzt der Prager Frühling in der Tschechoslowakei, der am 21. August durch sowjetische Panzer blutig niedergeschlagen wurde – weitere wichtige Daten aus der Chronik 1968  liessen sich hinzufügen.

Wie erinnern Sie 1968? Was und wo haben Sie gelernt, studiert oder gearbeitet, wie den Verlauf des Jahres erlebt und begleitet? Wir suchen gesprächsbereitete Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die uns Ihre Erinnerungen im Rahmen eines Zeitzeugeninterviews mitteilen möchten.

Kontaktaufnahme, Hinweise, Empfehlungen oder sonstige Rückmeldungen gerne per E-Mail an: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Wahlweise auch postalisch oder per Telefon an unsere Geschäftsstelle oder über unser Kontaktformular.

Ansprechpartner: Daniel Börner

Unsere Zeitzeugenwerkstatt zum Thema "Alltag in der DDR" aus dem Jahr 2016 ist ab sofort auf unserem YouTube-Kanal online, natürlich auch die anderen Teile seit 2009.

 

Meldung vom 02. Mai 2018

Ein Manifest der Liebe und der Hoffnung: Der Film "Partitur des Krieges – Leben zwischen den Fronten" wurde in Jena und Gera vorgestellt

Am 28. und 29. April zeigten die Kinos Schillerhof in Jena und Metropol in Gera den Dokumentarfilm "Die Partitur des Krieges – Leben zwischen den Fronten", der von einer musikalischen Lesung eingeleitet und einem intensiven Publikumsgespräch abgeschlossen wurde.

Ein Traum: Musiker aus Donezk und Kramatorsk in der Ostukraine gehen an die „Front“ und spielen jeweils eine Sinfonie von Mark Chaet. Die Gewehre müssten schweigen und die Soldaten weinen. Nach dem Konzert verbrüdern und weigern sie sich, weiter zu kämpfen, für wen auch immer. Liebe und gegenseitige Hilfe bestimmen den Wiederaufbau. Die Wirtschaft würde sich erholen und die Menschen könnten wieder von ihrer Hände Arbeit leben, Familien gründen, unbeschwert ihren Alltag genießen und in Frieden alt werden. Ende gut, alles gut?

Welche Politiker, welche Verantwortlichen wollten das verhindern?

Stellen wir uns also vor, es war Krieg und keiner hat bemerkt, dass er aufhörte.

Dem Film von Tom Franke, Armin Siebert und Mark Chaet ist zu wünschen, dass er sehr viele Zuschauer erreicht und bei ihnen mehr auslöst als „nur“ die distanzierte Betrachtung eines abstrakten Kriegszustandes in einem fernen Land.

Der Film überzeugt gerade deshalb, weil er nah am Menschen ist, nicht die Politik vorschiebt und sich im Kommentar völlig zurück hält. Die Menschen selbst sprechen für sich und über ihren Alltag im Zustand eines eingefrorenen Krieges. Viele der Gedanken der Protagonisten sind emotional kaum auszuhalten. Doch gerade daraus entsteht eine intensive und imaginäre Brücke zwischen den Protagonisten und den Zuschauern. Man möchte die Protagonisten am liebsten selbst umarmen, sie trösten und ihnen Hoffnung geben, einfach menschlich sein, wie die Protagonisten in diesem Film es selbst sind. Ihre Gedanken, die Bilder und die Gesichter zeigen, was mit Menschen geschieht, die sich im Kriegszustand befinden, wie Überleben zum gewöhnlichen Alltag wird, Krieg zur Normalität. Gewöhnen wir uns an alles? Können wir uns an all das gewöhnen, auch anderswo?

Warum ist Krieg? Warum zerstören wir uns gegenseitig? Wem nützt das? Wer ist an dem seit 2014 andauernden Kriegszustand in der Ostukraine schuld? Die Anderen sind an allem Schuld, so sagen es jedes Mal die politisch Verantwortlichen. Und was denken, was fühlen Menschen, die davon direkt betroffen sind?

Wer waren und wer sind jene, die die mörderische Gewalt auf sich nehmen, und wer sind jene, die Gewalt immer wieder stützten, egal wo auf dieser Welt? Viele Menschen haben offenbar wenig bis gar nichts aus der Geschichte gelernt – weil wir es nicht können oder nicht wollen? Es bleibt unbegreiflich, was Menschen anderen Menschen antun, uns immer wieder Zerstörung und Tod bringen. Diesem Wahnsinn stellt sich der dokumentarische Film „DIE PARTITUR DES KRIEGES – Leben zwischen den Fronten“ als universelles Zeugnis entgegen. Er ist ein Manifest der Liebe und der Hoffnung zugleich.

Dr. Henning Pietzsch

Fotos: Veranstaltung mit Mark Chaet und Tom Franke am 28. April 2018 in Jena, Fotograf: Henning Pietzsch

Meldung vom 13. April 2018

Filmabend am 28. April 2018 im Kino Schillerhof : Partitur des Krieges – Leben zwischen den Fronten

Im Frühjahr 2015 bereisten der aus Thüringen stammende Dokumentarfilmregisseur Tom Franke und der Musiker Mark Chaet gemeinsam die Ostukraine. Der Geiger und Komponist Mark Chaet lebt heute in Berlin. Vor über 20 Jahren verließ er seine Heimat, die Ukraine. Vor dem Hintergrund des Krieges seit März 2014 kehrte er erstmals zurück.

Entstanden ist ein einfühlsamer Dokumentarfilm, der sich auf die biografischen Wurzeln des Protagonisten Mark Chaet begibt. In intensiven Gesprächen mit Verwandten und Freunden erlebt dieser den Lebensalltag der Menschen in einem Bürgerkrieg – mitten in Europa.

Der 90-minütige Dokumentarfilm "Die Partitur des Krieges – Leben zwischen den Fronten" nimmt den Zuschauer mit auf diese Reise in die Ostukraine und in die Vergangenheit des Musikers. Jenseits politischer Statements und medialer Zuspitzung zeigt der Film Ambivalenzen auf und vermeidet einfache Antworten. Im Zentrum stehen die Menschen mit ihren unterschiedlichen Meinungen, Hoffnungen und Ängsten.

Am 28. April 2018 um 19.00 Uhr wird eine Gemeinschaftsveranstaltung zwischen Thüringer Archiv für Zeitgeschichte "Matthias Domaschk" und Geschichtswerkstatt Jena e. V. in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen und der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde den Film im Jenaer Kino Schillerhof (Helmboldstraße 1, 07749 Jena) präsentieren. Einführend liest der Regisseur Tom Franke aus seinen persönlichen Notizen während des Filmdrehs. Begleitet wird er von Mark Chaet auf der Geige. Nach dem Film stehen beide für Fragen aus dem Publikum zur Verfügung.

 Weitere Informationen zum Film: http://www.die-partitur-des-krieges.de

Meldung vom 04. April 2018

Neue Ausgabe der "Gerbergasse 18" mit Schwerpunkt "1968" als Heft 86 erschienen – weitere Themen: Demonstration in Naumburg 1988, Schattenwirtschaft von MfS & KoKo, Zeitzeugenarbeit im Unterricht, kommunistisches Erbe in Albanien u.v.a.

Die neue Ausgabe der Zeitschrift „Gerbergasse 18“ richtet den Blick auf das facettenreiche Epochenjahr 1968. Nicht nur weltweite Jugendproteste fordern die etablierten Gesellschaften (in Ost und West) heraus, mehrere Schlüsselmomente verdichten sich vor fünfzig Jahren: erstmals treten zwei deutsche Mannschaften bei Olympia an, politische Attentate in den USA und der sich radikalisierende Vietnam-Krieg erschüttern die Öffentlichkeit, die Sprengung der Universitätskirche in Leipzig versinnbildlicht die kirchenfeindliche Politik der SED, eine neue DDR-Verfassung wird im April per Schein-Entscheid mit 94,5 % Ja-Stimmen angenommen und im Juli tritt ein reformiertes Strafgesetzbuch in Kraft, dass „staatsfeindliche Hetze“ und „Republikflucht“ als Delikte nennt sowie die Verfolgung politisch Andersdenkender verschärft.

Im Mittelpunkt stand für viele Zeitzeugen der „Prager Frühling“ in der Tschechoslowakei. Doch der gesellschaftliche Aufbruch ohne Zensur und Repression dauerte nur wenige Monate, bevor am 21. August sowjetische Panzer alle Hoffnungen blutig niederschlugen. Mit Interviews, Zeitzeugenberichten und Analysen erinnert der Themenschwerpunkt 1968 an diese Ereignisse. Beispielsweise durch seltene Farbaufnahmen des damaligen Theologiestudenten Manfred Hermann, der die Invasion in Prag fotografierte.

Ein anderer Jahrestag ist 30 Jahre her: Eine unabhängige Demonstration für Meinungsfreiheit und Menschenrechte in Naumburg, die am 2. Februar 1988 nur wenige Minuten andauerte, bevor sie von „Sicherheitskräften“ aufgelöst wurde. Was die 18 mutigen Demonstranten vorwegnehmen, wurde als Friedliche Revolution im Herbst 1989 zur Massenbewegung. Einer der damaligen Akteure, der heutige Geraer Pfarrer Michael Kleim, rekonstruiert die Geschehnisse. Weitere Heftbeiträge behandeln den geheimen Handel mit Kunst und Antiquitäten aus der DDR in den Westen, die Fahrten der Westalliierten durch DDR-Gebiet unter der Chiffre Militärverbindungsmissionen, Chancen und Grenzen der Einbindung von DDR-Zeitzeugen in den Unterricht sowie die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Albanien.

Die neue Ausgabe 1/2018 der „Gerbergasse 18“ (Heft 86) ist ab sofort im Buchhandel und bei der Geschichtswerkstatt Jena erhältlich.

Meldung vom 07. März 2018

"Die Todesliste wird immer länger!" Informationsveranstaltung über Doping in der DDR und die Folgen bis heute mit Thomas Purschke und Ines Geipel

Am 6. März fand in der Jenaer Ernst-Abbe-Bücherei ein sehr gut besuchter Informationsabend zum Thema "Doping in der DDR" statt. In der vom Thüringer Landesbeauftragten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, Christian Dietrich, moderierten Veranstaltung sprachen der Investigativjourmalist Thomas Purschke sowie Ines Geipel in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende des Berliner Doping-Opfer-Hilfe e.V. Im Verlauf des Abends wurde deutlich, wie gering das öffentliche Bewusstsein und Wissen um die vielfältigen Wirkungen und Folgen des DDR-Dopingsystems (auch in Jena ausgebildet) weiterhin ist. Auch aus der universitären Forschung kämen nach vielversprechenden Ansätzen bis um das Jahr 2000 kaum noch Impulse, bedauerte Purschke, dazu kommt die häufige Plattitüde: "Gedopt wurde doch überall, auch im Westen". Relativierungen ("Oral-Turinabol war doch nur ein Medikament") und schiefe Vergleiche ("Doping war eine Notwendigkeit im Kalten Krieges") entkräftete die anschließende Diskussion, weil immer wieder offenkundig wurde, wie systematisch, skupellos und kriminell das Staatsdoping in der DDR organisiert war. Dass das Thema nicht erledigt ist, schilderte Ines Geipel an der konstant hohen Zahl an Erstmeldungen von Opfern, mittlerweile auch von deren Kinder, die durch transgenerationale Weitergabe von Folgeschäden betroffen sind. Warum viele Ex-Athleten erst nach Jahrzehnten sprechen können und sich melden, hat viele Ursachen – oft spielt Scham eine Rolle oder die tragische Sportlerfrage: Was war eigentlich mein Erfolg und was basierte auf Doping?

Thomas Purschke, dessen zahlreiche Artikel in der "Gerbergasse 18" wiederholt und früh auf die DDR-Dopingstrukturen aufmerksam machen, kritisierte die anhaltend mangelnde Bereitschaft, über die mit Doping erreichte Medaillenflut, insbesondere in Jena, öffentlich und transparent zu sprechen. Sowohl strukturell (durch Verantwortliche im Landessportbund) als auch auf Seiten damaliger Sportler*innen (etwa Heike Drechlser oder Marlies Göhr) dominiert eine Mischung aus Schweigen, Desinterese oder lapidaren Auskünften, denn "es war halt damals so". Wer heute noch so tut, als ob die früheren Erfolge nichts mit dem DDR-Sportsystem zu tun hätten, der vermittelt die Mentalität von einst in die jungen Köpfe der Gegenwart. Dass solche DDR-Rekorde, die beeindruckend auf junge Sportler*innen wirken müssen, mit fairen Mitteln kaum zu erreichen sind und dennoch zum Vorbild für jungen Sportgymnasiast*innen in Thüringen dienen, bleibt unverständlich.

Am Ende der Veranstaltung meldeten sich zwei Frauen - ehemalige Leichtathletinnen - zu Wort, die sich wünschten und dazu aufriefen, dass sich Betroffene und vom DDR-Doping Geschädigte selbst melden und sprechen sollen, auch wenn es viel Kraft und Überwindung kostet. Vor allem für sie war die Veranstaltung gedacht, an die sich am Folgetag eine umfassende Beratung durch den Doping-Opfer-Hilfe e.V. anschloss.

Auch die "Gerbergasse 18" wird das Thema weiter kritisch begleiten, zum Beispiel im zweiten Hefte des Jahres (Heft 87) mit einem Schwerpunkt zu den "Sportsystemen".

Meldung vom 02. Februar 2018

Betrachtung einer Heimatgeschichte aus Schüler*innenperspektive. Oder: Wie der Film „Sushi in Suhl“ auf mich wirkte

In meinem Schülerpraktikum bei der Geschichtswerkstatt Jena wurde ich auf einen in der „Gerbergasse 18“ veröffentlichten Artikel der Soziologin Sylka Scholz aufmerksam. Dieser behandelt die Darstellung der DDR-Gesellschaft im Spielfilm „Sushi in Suhl“ – Umstände und Zeiten, mit denen ich nie direkt in Kontakt gekommen bin. Im Folgenden möchte ich deshalb auch darauf eingehen, wie dieser Film auf unterschiedliche Generationen wirkt. Bevor ich die Analyse in der „Gerbergasse 18“ las, sah ich mir zunächst den Film an.

 

Ein Visionär in der Planwirtschaft

Ich erlebte den Suhler Koch Rolf Anschütz (im Film dargestellt von Uwe Steimle) bei der Entdeckung einer neuen Leidenschaft und letztendlich bei der Erfüllung seines Traums in Form eines eigenen japanischen Restaurants.

Bisher wurde in seinem Lokal „Waffenschmied“ typisch thüringisch gekocht, die Gäste und die Gerichte waren stets die gleichen. Jeden Tag schmeckte es „wie immer“. Es gab nichts mehr zu entdecken und auszuprobieren. Anschütz fasste nach umfassender Lektüre des Buches „Die Sitten der Völker“ den Entschluss, ein japanisches Essen für seine Freunde zuzubereiten.

Der Weg zur Gestaltung dieser Mahlzeit war kein leichter, denn es mangelte an so gut wie allen originalen Zutaten. Doch der 1932 geborene Rolf Anschütz, dessen Leben dem Film als Vorlage diente, war ein kreativer Geist. Anstatt Stäbchen nahme er die Trommelstöcke seines Sohnes und gab die Fertigung in die Hände eines befreundeten Tischlers. Dieser war erst skeptisch. Denn er hatte noch nie etwas Vergleichbares hergestellt und war nicht in den Nutzen der Hölzer eingeweiht. Doch am Ende besaß der Koch seine ersten Essstäbchen. So ging es weiter: Eierbecher wurden zu Trinkschalen, aus denen selbstgemachter Reiswein getrunken wurde. Aus entwendeten Judo-Mänteln wurden mit Hilfe von roter Farbe Kimonos, die traditionelle Landestracht der Frauen in Japan. Stühle und Tische wurden abgesägt, um mit „japanischen Möbeln“ in die dazugehörigen Essgewohnheiten einzutauchen. Auch das Herstellen von Sushirollen war dank Milchreis kein Problem. „Aus nichts was machen, das ist fantastisch“ sagt Anschütz mit sichtlicher Faszination. Es mangelte nun mal an Vielem in der Planwirtschaft, doch gerade das machte Anschütz’ Essen so besonders und ihn selbst so strebsam und erfinderisch.

Auch die, nach dem „Prinzip des Volkseigentums“ staatlich geführte, Handelsorganisation (HO), die in der DDR alle Gaststätten kontrollierte, förderte Anschütz’ Ehrgeiz erst nicht. Man drohte ihm sogar, den „Waffenschmied“ zu schließen. Die Wendung kam, als der erste japanische Gast Dr. Hayashi, ein Gastwissenschaftler der Universität Jena, im Suhler Restaurant tatsächlich japanisch essen wollte. Immer noch misstrauisch und die japanische Küche in Thüringen als „Feindpropaganda“ erklärend, erkannte die HO, dass diese die Tür für eine Verbesserung der erhofften Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern öffnen könnte.

So ermöglichte die HO dem ambitionierten Koch eine Japanabteilung im „Waffenschmied“ und legte ihm ein Plansoll von zwei japanischen Gerichten im Speiseplan auf. Sie trug auch dazu bei, dass Anschütz direkt aus dem Land der aufgehenden Sonne mit Zutaten beliefert werden konnte. Er durfte sogar für eine Ordensverleihung nach Japan reisen. Trotzdem wurde er gerade zu Anfang mit

viel Ablehnung seines Vorhabens konfrontiert.

Interpretationsangebote des Films

Die HO dient im Film als Sinnbild für die Doppelmoral, die Unsicherheit  und das daraus resultierende Willkür. Dabei werden deren Führungskräfte oft überspitzt und ironisch dargestellt. Im Kontrast zu Sylka Scholz’ These im Artikel stellt das aus meiner Perspektive keine Verharmlosung der Machtstrukturen der DDR dar. Vielmehr empfinde ich Satire als aktuelles und probates Mittel zur Übung von Kritik und Veranschaulichung von Missständen. Die aufgezeigte Abhängigkeit des Kochs und des Gelingens seines Traumes von der HO machen deutlich, dass alles wesentlich schlechter hätte ablaufen können.

Ich erachte es als große Stärke des Filmes, die DDR-Geschichte eben nicht allumfassend darzustellen und somit Pauschalisierung in Kauf zu nehmen. Geschichten wie die von Rolf Anschütz gehören zur Auseinandersetzung mit der DDR. Denn auch das haben die Menschen erlebt: den Alltag. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) war nicht für alle Bürger*innen dauerhaft und ständig bestimmend. Deshalb kann ich Frau Scholz’ Kritik, der Film wäre zu unpolitisch und nur eine Komödie, weniger nachvollziehen. Denn politisch ist etwas nicht nur dann, wenn es „Anklage“ oder „Abrechnung“ bedeutet. Wichtig für die Aufarbeitung ist die Diversität der Erfahrungen mit dem System. Die Erfolge und Glücksmomente, die es auch gab, nicht zu thematisieren, wäre erst recht unpolitisch und unrealistisch.

Ich stimme zu, dass das Werk vielleicht eine geringere öffentliche Debatten über die damaligen politischen Verhältnisse auslöste als zum Beispiel der Film „Good Bye, Lenin!“ (2003). Den Grund hierfür sehe ich in der Thematisierung eines konkreten Einzelschicksals, welches nicht streitbar ist, während eine absolute Darstellung des Systems weitaus mehr Menschen betrifft, die dazu unterschiedliche Meinungen vertreten. Insofern bewerte ich die „nicht vorhandene Diskussionsgrundlage“ als positiv.

Der Interpretation, der Film „formulier[e] […] eine (aktuelle) Kritik an Frauen in Führungspositionen, indem er sie lächerlich mach[e]“ kann ich nicht folgen. Die Direktorin der HO wird in dem Film gezielt lächerlich gemacht, ebenso wie der Bezirksdirektor und der Kreisdirektor der HO. „Sushi in Suhl“ kritisierte sie also nicht mehr oder weniger als die ebenfalls den Staatsapparat verkörpernden Männer. Nur weil eine Frau die Führungsposition innehat, bedeutet das nicht, dass der Film Frauen in Führungspositionen angreift. Vielmehr setzt der Film die Funktionäre der HO und staatliche Führungsriege an sich herab.

Ich stelle fest, dass ich den Film als Schülerin mit meinen Erfahrungen anders wahrnehme als zum Beispiel die Autorin der Artikels Frau Scholz oder meine Eltern. So könnten damalige Ereignisse Anhaltspunkte für die These der Kritik an erfolgreichen Frauen bieten, die der Film bedient, und die ich einfach nicht kenne.

Mein Vater, der in der DDR aufwuchs, konnte mir zum Beispiel von Situationen berichten, in denen er lokale Führungspersönlichkeiten sehr positiv, aufgeschlossen und direkt erlebt hat. Andere Zeitzeugenberichte, die vermehrt von einer Unterdrückung durch das Systems berichten, sind aber auch berechtigt.

So eröffnet sich mir, dass zwar die heutige Generation, mich eingeschlossen, nicht den gleichen Bezug zu Filmen über die DDR-Gesellschaft finden können wie Menschen, die dieses System erlebt haben. Doch, dass sogar diese unterschiedlichste Berührungspunkte und somit viele verschiedene Sichtweisen bezüglich Berichten und Geschichten aus der DDR haben können.

An einem Kritikpunkt komme ich nicht vorbei: die Besetzung eines Thüringers durch Uwe Steimle, einem sächsischen Kabarettisten. Leider lässt sein starker Dialekt, welcher als sein Markenzeichen gilt, die Rolle des Rolf Anschütz unauthentisch wirken. Das dürfte aber nur sächsische und thüringische Bürger*innen stören, da andere Zuschauer*innen diese Dialekte kaum unterscheiden können.

 

Was im Kopf bleibt

Trotz dieser Rollenbesetzung empfand ich den Film als sehr glaubwürdig angelegt und die Handlung als gut nachvollziehbar. Außerhalb seines historischen Kontextes ist er inspirierend und ermutigend für alle Visionäre und dabei gleichzeitig unterhaltsam.

„Sushi in Suhl“ leistet einen bedeutenden und kontroversen Beitrag zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Er fügt die neuen Komponenten Alltag und Einzelschicksal zur öffentlichen Diskussion hinzu und ist dabei noch witzig. Ich durfte die Erfolgsgeschichte eines Mannes beobachten, der durch Phantasie und Ehrgeiz seinen Traum vom japanischen Kochen verwirklichte. Dabei trotzte Rolf Anschütz jeglicher Lebensmittelknappheit in der Planwirtschaft. Der Spielfilm zeigt, dass dies auch in der DDR möglich war. Seine Geschichte hat mich sehr beeindruckt.

 

Paula Malou Dolinschek

 

Filmfotos "Sushi in Suhl": © Movienet Filmverleih München

Meldung vom 22. Januar 2018

11. Geschichtsmesse in Suhl: „Der diskrete Charme der Diktatur? Gefährdungen von Demokratie gestern und heute“ (25. bis 27. Januar im Ringberg Hotel)

Am Donnerstag beginnt in Suhl die inzwischen 11. Geschichtsmesse. Ein vielfältiges Programm mit Diskussionen, Vorträgen, Filmen und Projektvorstellungen wird bis Samstag allen Messebessuchern und Interessierten geboten. Auf der Internetseite der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur finden sich alle Hinweise zur Veranstaltung: www.geschichtsmesse.de

Auch die Geschichtswerkstatt Jena wird wieder auf der Messe vertreten sein, einen eigenen Informationsstand betreuen und freut sich auf spannende Tage in Suhl.

Meldung vom 15. Januar 2018

Torsten Eckold mit dem Clara-und-Eduard-Rosenthal-Stipendium für Bildende Künste ausgezeichnet

Wir gratulieren unserem Vereinsmitglied und stellvertretenen Vorsitzenden Torsten Eckold zur Verleihung des aktuellen Clara-und-Eduard-Rosenthal-Stipendiums für Bildende Künste.

Torsten Eckold, geboren 1965 in Jena, ist als Filmemacher, Kameramann, Produzent und Medienpädagoge tätig. Mit Blick auf das im Jahr 2020 anstehende Jubiläum der Verschmelzung der einstigen Fürstentümer zu einem demokratischen Land Thüringen und Eduard Rosenthal als Verfasser der Thüringischen Landesverfassung sowie Ehrenbürger der Stadt Jena soll ein Dokumentarfilm entstehen, der erstmalig an die Lebensleistung und bis heute wirkenden Einflüsse der Arbeit Rosenthals erinnern soll.

Die Begrüßung und Vorstellung der diesjährigen Clara- und Eduard-Rosenthal-Stipendiaten, neben Torsten Eckold der Regisseur und Künstler Benjamin Walther, findet am 28. Februar 2018 ab 20 Uhr im Theaterhaus Jena (Unterbühne) statt. Eintritt frei.

Wir wünschen Torsten Eckold eine erfolgreiche und produktive Zeit als Stipendiat sowie alles Gute für seine vielfältigen Projekte.

Meldung vom 08. Januar 2018

Haftzwangsarbeit im Bezirk Gera: Zeitzeugen gesucht!

Leserinnen und Leser der "Gerbergasse 18" fanden im Heft 85 (Ausgabe 4/2017) bereits folgenden Zeitzeugenaufruf des Vereins Gedenkstätte Amthordurchgang aus Gera, den wir gerne hier nochmal wiederholen und unterstützen möchten:

 

Die Gedenkstätte Amthordurchgang sucht nach Zeitzeugen, die bereit sind, über ihre Erfahrungen mit Haftzwangsarbeit in Haftanstalten oder Jugendeinrichtungen im ehemaligen Bezirk Gera zu sprechen.

In der DDR war die Pflicht zur Arbeit in den meisten Haftanstalten und Einrichtungen der Jugendhilfe wesentlicher Bestandteil des Alltags. Dass diese „Pflicht zur Arbeit“ in zahlreichen Fällen durchgesetzt wurde, ohne Rücksicht auf die körperliche und seelische Unversehrtheit der Menschen zu nehmen, haben verschiedene wissenschaftliche Studien in den letzten Jahren klar herausgearbeitet. Offiziell diente die Arbeit in Haftanstalten und Jugendeinrichtungen als „Erziehungsinstrument“, wurde jedoch in der Praxis wiederholt unter Zwang aufgrund rein wirtschaftlicher oder repressiver Funktionen durchgesetzt.

Inwieweit der Begriff „Zwangsarbeit“ geeigneter ist als „Haftzwangsarbeit“, um diese Praxis zu beschreiben, und wie verbreitet diese war, darüber wird aktuell noch gestritten. Im Zuge der in den vergangenen Jahren eifrig geführten Debatte möchten wir die Arbeitsbedingungen in Haftanstalten und Jugendeinrichtungen der DDR für das Gebiet des Bezirkes Gera untersuchen. Dafür sind wir auf Ihre Mithilfe und Ihr Vertrauen angewiesen.

Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die bereit sind, über ihre Erfahrungen in Haftanstalten oder Jugendeinrichtungen der DDR zu sprechen, können sich per E-Mail oder telefonisch melden:
0365 / 55 27 630
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Ansprechpartner: Christina Schwarz und Olaf Voit
Gedenkstätte Amthordurchgang e. V.

 
 
© Geschichtswerkstatt 2024