Meldungen des Jahres 2018

Meldung vom 30. November -0001

Debatte um Zahl der Maueropfer Erwiderung

Im Heft 88 der "Gerbergasse 18"

Ein rbb-Bericht hat das Handbuch über die Todesfälle an der innerdeutschen Grenze z

 

Forschungsverbund SED-Staat weist Vorwürfe des rbb zurück

 

Der am 6. November 2018 ausgestrahlte Bericht des rbb über das vom Forschungsverbund SED-Staat 2017 vorgelegte biografische Handbuch „Die Todesopfer des DDR-Grenzregimes an der innerdeutschen Grenze 1949–1989“ enthält Falschbehauptungen, Unterstellungen und Mutmaßungen, die der Selbstverpflichtung des öffentlichen-rechtlichen Fernsehprogramms zu einer sachlichen und fairen Berichterstattung Hohn sprechen. Der von der rbb-Journalistin Gabi Probst verfasste Beitrag verschweigt bewusst die in diesem Handbuch enthaltene und einleitend begründete Gliederung in fünf Kapitel zu den Todesfällen an der innerdeutschen Grenze.

  • Das erste und ausführlichste Kapitel der wissenschaftlichen Studie enthält auf 417 Seiten 238 „Biografien der Todesopfer im innerdeutschen Grenzgebiet 1949-1989“.
  • Im zweiten Kapitel der Studie werden auf 51 Seiten 25 „Todesfälle in Ausübung des Grenzdienstes“ beschrieben. Hierbei handelt es sich um DDR-Grenzpolizisten und Grenzsoldaten, die von westlicher Seite oder von Fahnenflüchtigen erschossen wurden.
  • Im dritten Kapitel werden auf 27 Seiten 21 „Todesfälle im kausalen Zusammenhang des DDR-Grenzregimes“ dargestellt.
  • Im vierten Kapitel geht es auf 45 Seiten um 43 biografische Darstellungen über „Suizide in den Grenztruppen“.
  • Das fünfte Kapitel enthält auf 54 Seiten Informationen über „weitere Todes- und Verdachtsfälle“ und Begründungen dafür, warum diese nicht in die biografischen Kapitel aufgenommen worden sind.

Die 262 Todesfälle der ersten beiden Fallgruppen lassen sich den fünf oben erwähnen Kategorien des biografischen Handbuches über die Todesopfer an der Berliner Mauer 1961 bis 1989 zuordnen. Bei den 21 Todesfällen im kausalen Zusammenhang des DDR Grenzregimes existieren zu den in Moskau und Leipzig Hingerichteten keine vergleichbaren Fälle im Berliner Handbuch. Gleichwohl stehen diese Hinrichtungen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem DDR-Grenzregime, denn zum einen erfolgten alle Festnahmen der später hingerichteten Personen im Grenzraum, zum anderen bezogen sich die Urteilsbegründungen auf den Grenzdienst oder auf versuchte oder erfolgte Fluchten.

Zu den im rbb-Bericht erwähnten Einzelfällen.

Über die Selbsttötung des Majors der Grenztruppen Hans Schmidt heißt es in der Sendung, der rbb habe „in den Akten“ keine Belege für einen dienstlichen Zusammenhang des Suizids gefunden. Tatsächlich zitiert die Autorin des Beitrags Gabi Probst aus der beim DDR-Staatssicherheitsdienst in Berlin eingegangenen Meldung, nach der private und gesundheitliche Probleme „und daraus entstandene dienstliche Auseinandersetzungen die Motive für den Suizid sind, wobei die am 20.05.88 erfolgte Aussprache der Anlaß für die kurzfristige Entschlußfassung zum Suizid gewesen sein kann“.

Ausgerechnet der Kommandeur des Grenzausbildungsregiment Horst Jüttner, mit dessen Stellvertreter Hans Schmidt vor seinem Suizid das letzte Dienstgespräch führte, weist im rbb-Beitrag jegliche Mitverantwortung für die Verzweiflungstat von sich. Dabei richtete Schmidt seine auf einen Zettel geschriebenen letzten Worte anklagend an den Politoffizier, was Jüttner auch bekannt gewesen sein dürfte. Die entsprechende Passage auf dem Zettel lautete: „STKLPA [Abk. für Stellvertreter des Kommandeurs und Leiter der Politabteilung] und das ist für die Fahne. Ich habe gerne gelebt.“ Diese Sätze sind der rbb-Journalistin Gabi Probst bekannt; sie hat sie selbst im Gespräch mit Jochen Staadt zitiert, im ausgestrahlten Beitrag aber verschwiegen und zum dienstlichen Zusammenhang des Suizids behauptet. „Belege dafür fand der rbb in den Akten nicht.“

Als zweiten angeblich zweifelhaften Fall eines Suizides im dienstlichen Zusammenhang erwähnt der rbb-Beitrag den „Grenztruppenanwärter Bodo Panke“. Von einem „Grenztruppenanwärter“, was auch immer das sein soll, ist in dem biografischen Handbuch keine Rede. Über die Motive des Suizids von Leutnant Bodo Panke, der von ihm Nahestehenden als „überbetont feinfühlig“ beschrieben wurde, heißt es im dem Bericht der MfS-Untersuchungsabteilung: „Entgegen bestehender und ihm bekannter dienstlicher Weisungen und Befehle nahm Bodo Panke in der Zeit vom 14. bis 17. August 1979 Kontakte zu Bürgern aus dem nichtsozialistischen Ausland auf.“ Die Besucher waren Verwandte der Schwiegereltern aus Kanada. Panke habe, statt diesen Kontakt zu meiden, insbesondere zu der 19-jährigen Tochter des Ehepaares ein enges Verhältnis gesucht und nichts unternommen, um den kanadischen Staatsbürgern aus dem Weg zu gehen. Die MfS-Leute kamen zu dem Ergebnis, dass sich Panke „zur Selbsttötung entschloß, da er familiär zum wiederholten Male gescheitert war und zudem befürchtete, wegen seiner Kontakte zu den kanadischen Staatsbürgern dienstlich zur Verantwortung gezogen zu werden“. Offenbar war der Druck, der auf Panke lastete, so groß, dass er sich in einer ausweglosen Lage glaubte. Obwohl die rbb-Berichterstatterin auch diese MfS-Unterlagen kennt, verschweigt sie den dienstlichen Bezug.

Im dritten erwähnten Fall des Suizids eines Grenzsoldaten gibt die rbb-Berichterstatterin die im biografischen Handbuch enthaltenen Angaben dagegen verkürzt wieder. Darüber hinaus behauptet Frau Probst über den 21jährigen Soldaten Rainer Weiß herabwürdigend: „Weiß ist psychisch krank“. Den Unterlagen der Grenztruppen zufolge war Weiß im Kameradenkreis isoliert, wurde gehänselt und befand sich in einer Außenseiterrolle. In seinem Abschiedsbrief beklagte er, alle würden über ihn lachen, was er sich selbst zuzuschreiben habe. Er könne sich seine Probleme niemandem anvertrauen. Ein Zimmerkamerad beschrieb Weiß später als vergesslich, kontaktlos, unruhig und ängstlich. Er habe sich bei ihm über „wenig Freiheit“ und die anstrengende Ausbildung im Grenzdienst beklagt. Zuweilen habe sein Verhalten etwas Zwanghaftes gehabt, so etwa sein ständiges Putzen der Schuhe oder häufiges Aufräumen des Spindes. Andere Soldaten machten sich öfter über seinen „komischen Gang“ lustig und zogen ihn damit auf. Am 13. Januar 1970, dem Tag seines Suizids, sollte Rainer Weiß auf einer FDJ-Versammlung vor seinen Kameraden zu seinem Verhalten Stellung beziehen. Die Untersuchungsführer des MfS, sahen keinen Zusammenhang der Selbsttötung von Rainer Weiß mit seinen Problemen in der Truppe. Der rbb übernimmt in seinem Bericht kritiklos die MfS-Deutung einer „seelischen Depression“ ohne die oben beschriebenen Probleme des jungen Mannes auch nur zu erwähnen.

Zu den Suiziden im Grenzdienst

In dem einführenden Abschnitt des Handbuches zu den Suiziden in den DDR Grenztruppen heißt es: „Für die im folgenden Teil des Handbuches beschriebenen Suizide gilt im Sinne des von den Suizidforschern Werner Felber und Peter Winiecke entwickelten „Kausalitätsgefüges von Suizidalität“, dass Selbsttötungen nur selten monokausal begründet sind, sondern dabei „komplexe Ursachen auf mehreren Ebenen zusammenwirken“. Aus den von Felber und Winiecke aufgeführten variablen Ursachen sind für die im Rahmen dieser Untersuchung erfassten Suizide in den DDR-Grenztruppen die folgenden von Belang:

Ebene 1, basale Suizidalität: Psychische Erkrankungen (inklusive Sucht);

Ebene 2, personale Suizidalität: Existentiell bedrohliche Erlebnisse; körperliche Erkrankungen; Persönlichkeit, Charakter (-störungen);

Ebene 3, epiphänomenale Suizidalität: Gesellschaftliche Strukturen; Religiöse Traditionen; Methodenverfügbarkeit.

Wie die Prüfung von 203 als Teilergebnis dieser Untersuchung in den Überlieferungen von MfS und Grenztruppen aufgefundenen Meldungen über Selbsttötungen in den Grenztruppen ergab, fanden sich bei 22 Prozent der 203 Grenzpolizisten und Grenzsoldaten Hinweise auf dienstliche Probleme wie Angst vor Bestrafungen oder Maßregelungen, Widerwillen gegen den Kadavergehorsam, die tägliche Vergatterung zum Schießen auf Flüchtlinge und weitere Zumutungen des Grenzdienstes. Durch Hinweise von Angehörigen und Bekannten konnte zumindest in Einzelfällen die im internen Meldungsaufkommen stereotyp auftauchende Behauptung falsifiziert werden, der jeweilige Suizid sei aus privaten oder familiären Gründen erfolgt.“

Am 17. November 2012 stellte Dr. Staadt auf dem Verbändetreffen der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) in Berlin das Forschungsprojekt zu den Todesopfern des DDR-Grenzregimes an der innerdeutschen Grenze vor. Dabei wurde insbesondere die sensible Fallgruppe der „Suizide im Grenzdienst“ ausführlich erläutert. Der auf der Veranstaltung anwesende und nun als Kritiker im rbb präsentierte Dr. Christian Sachse meldete sich in der Diskussion über die Todesfallgruppe nicht zu Wort und erhob auch im Nachgang des Verbändetreffens ebenso wie andere Mitglieder der UOKG dagegen keine Einwände.

Die einseitige Darstellung des rbb-Beitrags geht mit keinem Wort auf die Kontexte der Einzelfallprüfung von Suiziden in den DDR-Grenztruppen durch das Forschungsteam ein. Die vom rbb verbreitete Behauptung, hier würden Täter zu Opfern gemacht entbehrt angesichts der Darstellung der konkreten Fälle jeglicher Grundlage.

Außerdem ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen dem rbb Unterlagen zur Verfügung gestellt hat, die dem Team des Forschungsverbundes SED-Staat bis zum Abschluss der biografischen Studie nicht vorlagen.

Auch zur Biografie des in Moskau hingerichteten Polizisten Walter Monien, der 1951 die Flucht in den Westen plante und von einem MfS-Informanten verraten wurde, enthält der rbb-Bericht gezielte Auslassungen wichtiger Zusammenhänge und Falschbehauptungen. Monien wird in der Sendung als „Ex-SS-Mann“ bezeichnet. Der in der rbb-Sendung als Experte auftretende Vertreter der UOKG, Dr. Christian Sachse, ein früherer Mitarbeiter des Forschungsverbundes SED-Staat, der 2006 in Unfrieden aus dem Forschungsverbund ausschied, erklärte in der rbb-Sendung wörtlich: „Den Fall des SS-Mannes Monien kann ich nur als gewollte Manipulation verstehen.“

Tatsächlich hatte sich Monien als 17jähriger – Jahrgang 1927 und nur drei Monate älter als Günter Grass – zur Waffen-SS gemeldet. Sein Einsatz dauerte vom Januar 1945 bis zur Gefangennahme durch sowjetische Truppen Anfang Mai 1945. Nach vier Jahren in sowjetischer Kriegsgefangenschaft meldete er sich freiwillig bei der Volkspolizei. Die in den MfS-Dokumenten behauptete „Erschießung von sowjetischen Kriegsgefangenen“ wurde von dem sowjetischen Militärtribunal, das ihn zunächst zu 25 Jahren Zwangsarbeit und dann auf Moskauer Weisung zum Tode verurteilte, nicht erwähnt. Das Urteil des Sowjetische Militärtribunal (SMT) in Halle gegen ihn erging wegen „Verleumdung und Agitation gegen die UdSSR, Anstiftung zu Terroranschlägen sowie antisowjetischer und antidemokratischer Propaganda“. Die rbb-Journalistin Gabi Probst wurde in mehreren E-Mails darauf hingewiesen, dass die Biografie von Walter Monien und die Urteilsbegründung dem Totenbuch „‘Erschossen in Moskau…‘. Die deutschen Opfer des Stalinismus auf dem Moskauer Friedhof Donskoje 1950–1953“, erschienen in 3. Auflage 2008, enthalten ist. Das Totenbuch wurde von Memorial Moskau, dem Forschungsinstitut Facts&Files und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur herausgegeben.

Dem darin enthaltenen biografischen Eintrag zu Walter Monien ist zu entnehmen, dass dieser von der Russischen Militärstaatsanwaltschaft am 15. Februar 1999 rehabilitiert wurde. Der rbb-Beitrag verschweigt auch diese Tatsache, obwohl sie der rbb-Journalistin Gabi Probst bekannt war. Die russischen Militärstaatsanwälte gingen 1999 mit den von stalinistischen Geheimpolizisten erzwungenen Aussagen Moniens wesentlich quellenkritischer um als der rbb in seinem Bericht. Völlig unkritisch verbreitet die öffentlich-rechtliche Anstalt die nach stalinistischen Verhörmethoden zustande gekommenen Aussagen Moniens eins zu eins in ihrer Sendung.

Schließlich bleibt anzumerken, dass die rbb-Journalistin Probst Interviewäußerungen von Experten, die dem voreingenommenen Zuschnitt ihres Beitrags nicht entsprachen, in die Sendung unberücksichtigt ließ. Ob sich ein derart tendenziöses Vorgehen mit dem Sendeauftrag des öffentlichen-rechtlichen Fernsehprogramms zu einer sachlichen und fairen Berichterstattung vereinbaren läßt, mögen die Verantwortlichen des rbb begründen, denen diese Erklärung zugeht.

 

Berlin, den 7. November 2018

Prof. Dr. Klaus Schroeder

Dr. Jochen Staadt

Ein rbb-Bericht versucht das Handbuch über die Todesfälle an der innerdeutschen Grenze zu desavouieren

 
 
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