Meldungen des Jahres 2024

Meldung vom 27. September 2024

Filmrezension: „Die Unbeugsamen 2 – Guten Morgen, ihr Schönen!“

„Die Unbeugsamen 2“ von Torsten Körner ist die Fortsetzung des 2021 entstandenen ersten Teils, in dem der 1965 in Oldenburg geborene Regisseur „unbeugsame“ Politikerinnen der Bonner Republik porträtierte – einer der erfolgreichsten Dokumentarfilme der vergangenen Jahre.

Der 110 Minuten lange zweite Teil startete Ende August 2024 in den deutschen Kinos. Darin dreht sich alles um die „unbeugsamen“ Frauen im Osten, ihre Bedeutung und Rolle in der DDR-Gesellschaft und wie unterschiedlich diese im Rückblick erinnert wird. 15 ostdeutsche Frauen geben spannende Antworten darauf, was es für sie persönlich oder ihre Mütter bedeutete, in der DDR als Frau den eigenen Weg zu gehen und mit welchen Schwierigkeiten sie dabei konfrontiert waren. Am Ende gibt der Film auch einen Einblick, wie es für die Befragten nach der Wiedervereinigung weiter ging und wie sich die Veränderungen nach 1990 auf Leben und Alltag ausgewirkt haben.

 

„Guten Morgen, du Schöne“

„Die Unbeugsamen 2“ ist eine eindrucksvolle Dokumentation über starke, emanzipierte Frauen. Erzählt werden Geschichten über das Erwachsenwerden trotz Mauer und Begrenzungen. Die Aussagen der Befragten werden mit zahlreichen historischen Fotos und Songs – von Silly über Gerhard Gundermann bis Patti Smith – ergänzt, was dem ganzen Streifen eine lockere, aber nicht unernste Atmosphäre verleiht und teilweise auf fast humoristische Art und Weise die Zitate der Interviewten bestärkt oder infrage stellt. Der Untertitel des Films ist eine Anspielung auf das DDR-Kultbuch „Guten Morgen, du Schöne“ von Maxie Wander. Im 1977 erschienenen Protokollband stellt die Autorin, ähnlich wie die jetzige Filmdokumentation, die Bedürfnisse, Konflikte und Herausforderungen von Frauen in der DDR in den Mittelpunkt. Vor allem den Wunsch nach sexueller Selbstbestimmung, echter Gleichberechtigung und ehrlicher Anerkennung – auch durch (ihre) Männer. Offen und unverstellt erzählen die ausgewählten „Ostfrauen“ dem westdeutschen Regisseur aus ihren Lebens- und Liebesumständen. Archivaufnahmen und Ausschnitte aus DEFA-Dokumentationen, die leider nicht zugeordnet werden, sorgen für eine optische Gegenüberstellung. Auch die farblich klar gesetzten Kapitelwechsel passen gut ins Bild und sorgten dafür, dass während des Schauens eine durchweg positive Grundstimmung zu spüren ist.

Jede der Interviewten – geboren zwischen 1930 und 1969 – steht mit ihrer Biografie für einen anderen Aspekt der DDR-Vergangenheit, die Körner in seiner filmischen Collage kunstvoll zusammenführt. Während Amrei Bauer über den Freiheitskampf ihrer Mutter, der Malerin Annemirl Bauer, berichtet, der sich vor allem über ihre Bilder ausdrückte, erzählt Katrin Seyfarth davon, was es bedeutete, sich als Frau am Arbeitsplatz gegen laute(r) Männer und deren Macho-Verhalten durchzusetzen. Sie arbeitete als Blockwalzerin in der Maxhütte Unterwellenborn. Brunhilde Hanke wiederum berichtet von ihrer Zeit als Oberbürgermeisterin von Potsdam.

Immer wieder spielt ein Thema eine zentrale Rolle: Der Widerstand gegen das Patriarchat. Solveig Leo wurde mit 23 Jahren zur damals jüngsten LPG-Vorsitzenden in der DDR gewählt. Sie veranschaulicht durch witzige Anekdoten, wie Männer ihr vorwarfen, dass diese Aufgabe für sie als junge Frau niemals zu stemmen wäre, oder wie sie ihr unterstellten, Lieferanten würden ihr keinen Respekt entgegenbringen. Diese und manche weitere Episoden im Film hinterfragen die Wirklichkeit der vielbeschworenen Gleichberechtigung in der DDR, gerade wenn es um tatsächliche Führungspositionen ging. Bestes Beispiel dafür ist die Zusammensetzung des SED-Politbüros – eine Riege alter, asexuell wirkender Männer.

 


Ein großer starker Baum
Die befragten Frauen, die oftmals Mutter, Werktätige und Hausfrau in Personalunion waren, bestätigen im Film kollektiv die Aussage, dass echte und vollständige Gleichberechtigung auch in der DDR eine Utopie blieb. Der wohl wichtigste positive Aspekt war die finanzielle Unabhängigkeit, die es den DDR-Frauen in der Regel erlaubte, ein weitgehend von männlicher Bevormundung befreites Leben zu führen. Mit kernigen Aussagen, humorvollen Anekdoten und wunderschönen Monologen zeichnet der Film ein differenziertes Bild der „Unbeugsamen“ im Osten. Beispielhaft ist ein Zitat von Katrin Seyfarth, die an einer Stelle sagt: „Dieses Bild, was ich von der DDR hatte, war wie ein großer starker Baum. Und ’89 ist für mich dieser Baum umgefallen und ich habe gesehen, der Baum hatte keine Wurzeln.“ Im Anschluss redet die frühere Stahlwerkerin und Volkskammer-Abgeordnete darüber, dass es "erschütternd“ für ihr Weltbild war, dass so viele Menschen die DDR nicht (mehr) als ihre Heimat ansahen.

Obwohl die Vielfalt der porträtierten Frauen überzeugt, sind es in gewisser Weise doch auch Rollenmodelle innerhalb der DDR-Gesellschaft, die Körner hier zusammenbringt, denn voneinander wussten die Interviewten im Vorfeld nicht. Es sind weitgehend intellektuelle Frauen aus Kunst und Kultur, die den Kreis der „Unbeugsamen“ bilden. Darunter die Schauspielerin Katrin Sass, die Schriftstellerin Katja Lange-Müller, die Malerin Doris Ziegler, die Musikerin Tina Powileit und die Illustratorin Anke Feuchtenberger. Stärker als in anderen Dokumentationen zum Thema „Frauen in der DDR“, die dem „Mythos Ostfrau“ huldigen, berichten hier Ulrike Poppe und Gabriele Stötzer über kreative Opposition gegen den SED-Staat und politische Haft. Auch das Thema Gewalt in Ehe und Partnerschaft wird deutlich angesprochen.


Unbeugsam – bis heute
Einzig, dass hier vornehmlich erfolgreiche und prominente Frauen zu Wort kommen, ist etwas kritikwürdig. Es wäre interessant zu sehen, ob und wie eine ostdeutsche Regisseurin andere Schwerpunkte gelegt oder die Auswahl der interviewten Frauen verändert hätte. Obwohl vergleichbare Dokumentarfilme wie „Frauen in Landschaften“ von Sabine Michel, geboren 1971 in Dresden, ebenfalls „nur“ bekannte ostdeutsche Politikerinnen aus dem politischen Betrieb begleitet.

Es ist die Historikerin Annette Leo, die zusammenfassend anmerkt, dass die Emanzipation der Frauen wohl das Beste am Erbe der DDR sei. Mit Sarkasmus kommentiert Dr. Marina Grasse, erste und einzige Gleichstellungsbeauftragte der DDR-Regierung, die Wirkungen der ostdeutschen Frauenbewegung auf das neue Land. Den von ihr beauftragten „Frauenreport ’90“ wollten viele Männer am liebsten sofort wieder einstampfen lassen.
Körners Dokumentation gelingt es ohne erhobenem Zeigefinger, bestehende Vorurteile aufzubrechen und dabei unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen lässt. Einer baldigen Ausstrahlung im Fernsehen und Stream darf man mit Vorfreude entgegen sehen. Zu empfehlen ist der Film allen, die sich für die Geschichte der DDR interessieren und Einblicke zum Verhältnis der Geschlechter im SED-Staat erhalten wollen. Aus diesem Grund spreche ich eine klare Sehempfehlung aus: satte 8,5 von 10 Punkten!


Michel-Odin Späth
Geschichtsstudent, Jena

 
 
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